Ermittlung aerodynamischer Lasten auf Gebäude bei startenden und landenden Hubschraubern

1. Aufgabenstellung

Die Städtisches Klinikum plant eine Erweiterung ihres Standortes. Auf einem vierstöckigen Gebäude soll eine Plattform zur Landung eines Rettungshubschraubers errichtet werden. Die Plattform be-sitzt einen quadratischen Grundriss von 26 m x 26 m und liegt ca. 2,8 m über der Decke des 3. Geschosses auf Stützen mit einem Achsabstand von 7,3 m. Ich wurde beauftragt, die aerodynamischen Einwirkungen auf die Konstruktion infolge Hubschrauberflug zu bewerten und Lastansätze anzugeben.

2. Aerodynamik infolge Rotorflug

2.1 Annahmen

Es ist vorgesehen, am geplanten Hubschrauber-Landeplatz Flugbetrieb nach Sichtflugregeln bei Tag und Nacht mit Hubschraubern der Kategorie A, Flugleistungsklasse 1 durchzuführen. Die gewählten Abmessungen der Landefläche von 26 m x 26 m lassen Hubschrauber bis 13 m Gesamtlänge bei einem Rotordurchmesser von ca. 11 m und einer Abflugmasse von bis zu 5000 kg zu. Dies deckt u. a. das im Luftrettungsdienst derzeit verbreitet eingesetzte Hubschraubermuster Eurocopter EC 135 ab (Bild 1). Die genannten Daten werden hinsichtlich der Abmessungen und der Gewichte des Fluggeräts allgemein als zutreffend für den überschaubaren Zeitraum angenommen. Es wird ausgeschlossen, dass hier wesentliche Änderungen zu größeren Mustern eintreten könnten. Für die weiteren Überlegungen ist es wichtig, einige Kenndaten der EC135 zu nennen: • Maximale Abflugmasse (MTOM = maximum takeoff mass): 2835 kg • Rotordurchmesser 10,20 m

Bild 1: Eurocopter Bild 2: Bell 413

Während der Bearbeitung ergab sich noch die Forderung nach einem größeren Hubschrauber, mit einem Abfluggewicht von bis zu 6000 kg in Betracht gezogen werden. In diese Kategorie fällt zum Beispiel der Hubschraubertyp Bell 412, der auch für Rettungsflüge eingesetzt wird (Bild 2(. Dieser Hubschrauber hat in bestimmten Versionen folgende Kenndaten:

  • Maximale Abflugmasse (MTOM = maximum takeoff mass): 5800 kg
  • Rotordurchmesser 14,02 m

Da Abflugmasse und Rotordurchmesser gegenläufige Effekte auf die rotorinduzierten Luftströmungen haben kann, werden als Grundlage für die weiteren Betrachtungen zwei ungünstigste generische Hubschraubermuster betrachtet: Typ 1 mit einer Maximalenabflugmasse von 5000 kg und einem Rotordurchmesser von 11 m, sowie Typ 2 mit einer Maximalenabflugmasse von 6000 kg und 14 m Rotordurchmesser. Der durch den Downwash induzierte Sidewash wirkt theoretisch nur auf einem Kreisring um die Downwashfläche. Sofern sich der Sidewash in alle Richtungen gleichmäßig ausbreiten kann, kann man vereinfacht davon ausgehen, dass sich die Windgeschwindigkeit entsprechend der Kontinuitätsbedingung mindestens linear zum Rotorabstand verringert.
Dementsprechend sind in einem Abstand von ca. 8 m bis 10 m von der Rotorachse nur noch ca. 50% der in Tabelle 1 angegeben Windgeschwindigkeiten zu erwarten. Die Windlasten haben sich dabei auf ¼ reduziert und dürfen als nicht mehr maßgebend angesehen werden.

2.2 Luftumströmung des Hubschraubers

Vom Hubschrauber geht in Bodennähe ein Downwash und ein Sidewash aus (Bild 2). Dies sind zunächst nach unten und dann durch die Umlenkung am Boden seitwärts gerichtete Luftströmungen. Im Folgenden wird untersucht, wie groß die dabei verursachten Windgeschwindigkeiten werden können.


Bild 3: Luftströmung schematisch bei Hubschrauber Start und Landung

Damit ein Hubschrauber fliegen kann, muss der durch die Rotoren erzeugte Auftrieb größer sein als das Gewicht des Hubschraubers. Die von einem Hubschrauber ausgehenden Strömungsfelder sind komplex und nur sehr aufwändig zu berechnen. Daher ist es sinnvoll und auch üblich, auf Messungen mit dem Typ einzusetzenden Hubschrauber zurückzugreifen. Im Folgenden wird auf einfache Modelle sowie Veröffentlichungen zurückgegriffen, wo u.a. aus Messungen die auftretenden Windgeschwindigkeiten bestimmt wurden. Die Rotoren haben in der Regel in Auftriebsprofil, ähnlich wie die Tragfläche eines Flugzeugs. Bei Rotation entsteht also ein Auftrieb. Zu beachten ist, dass bei gleichem Blattwinkel (pitch) der Auftrieb am Rotorende am größten ist, da dort die Bahngeschwindigkeit am größten ist. Die Bahngeschwindigkeit nimmt linear zur Rotorachse ab. Es gilt:

wobei ω für die Winkelgeschwindigkeit des Rotors im Bogenmaß steht, r ist der Abstand des betrachteten Punktes von der Rotorachse.
Um zu einer annähernd ausgeglichenen Auftriebsverteilung über die Rotorlänge zu kommen, werden die Anstellwinkel der Rotorquerschnitte (pitch) nach außen hin geringer. Ähnliches beobachtet man auch z.B. bei Windkraftanlagen.

2.3 Flüge mit und ohne Bodeneffektes

Nähert sich ein Hubschrauber dem Boden nähert, so mehr stauen sich unter dem Hubschrauber die vom Hauptrotor induzierten Luftmassen. Es baut sich eine Art Luftpolster auf, bei dem die Luft verdichtet ist. Man spricht vom Flug im Bodeneffekt. Der Hubschrauber kann mit weniger Leistung seine Höhe halten. Das Gegenteil zum beschriebenen Szenario bildet der Flug außerhalb des Bodeneffektes. Hier kann der Downwash ungehindert abströmen, ohne einen Einfluss auf die Leistung des Hubschraubers zu haben (Bild 3). Der Hubschrauber benötigt eine erhöhte Leistung für die Einhaltung des Schwebefluges.


Bild 4: Flug in großem Bodenabstand, reiner Downwash

Nicht immer ist es dem Downwash in Bodennähe möglich, ungehindert abzufliesen. So können beispielsweise Bäume oder Häuser oder die spezielle Topographie (siehe dazu die Hinweise bei einer Hochspannungsleitung) das Abfließen der beschleunigten Luftmassen behindern, wie dies auch beim Überfliegen der Lichtschächte beim geplanten Hubschrauberlandeplatz am Klinikum der Fall sein könnte. Insbesondere ist darauf zu achten, dass keine starken Verwirbelungen auftreten. Dies bewirken ggf. dass die die Schubkraft d.h. der Auftrieb des Rotors sinkt, weil falsch gerichtete Windströmungen auftreten, die zu einem Strömungsabriss am Rotor führen (stall). Hierbei kann es zum Verlust des Bodeneffektes kommen. Aus den genannten Gründen wird für die Berechnung der vertikalen Windgeschwindigkeiten (Downwash) der Flug außerhalb des Bodeneffektes als der kritischere Fall für die Dimensionierung der Gebäude angesehen.

2.4 Sidewash

Bei den Aussagen zum Sidewash wird auf Untersuchungen aus [Slijepcevic1998] zurück gegriffen. Für einen Hubschrauber mit einer Abflugmasse zwischen 2000 und 3000 kg sowie zwischen 4000 und 5000 kg bei einem Rotordurchmesser von ca. 11 Metern werden in der zitierten Veröffentlichung folgende Werte für die Windgeschwindigkeit des sidewash angegeben, siehe Tabelle 1. Die Daten des Rettungshubschraubers vom Typ EC135 fallen in die zuerst genannte Gewichtskategorie, siehe oben.

Tabelle 1: Windgeschwindigkeiten für Sidewash bei 1 km/h Fluggeschwindigkeit

Bei einer Geschwindigkeit des Hubschraubers von nur 1 km/h wird bei 15 m Höhe des Rotors über Grund eine Strömungsgeschwindigkeit von 22,6 m/s bzw. 31,9 m/s durch den schweren Hubschrauber erzeugt. Bei höheren Fluggeschwindigkeiten nehmen die erzeugten Windgeschwindigkeiten ab. Bei der Landung ist jedoch mit einer Anfluggeschwindigkeit von ca. 1 m/s kurz vor dem Aufsetzen zur rechnen.

2.5 Downwash

Der Downwash tritt in allen Flugphasen auf. Die größte Gefahr für ein Gebäude tritt im Schwebeflug auf. Dabei kann ab einer Höhe, die ca. dem 1,5 fachen des Rotordurchmessers entspricht, davon ausgegangen werden, dass ein Schwebeflug ohne Bodeneffekt vorliegt. Bei einem Rotordurchmesser von 10,2 m der EC 135 wäre das in ca. 15 m Flughöhe der Fall. Im Schwebeflug außerhalb des Bodeneffekts ist der volle Auftrieb für den Hubschrauber aus der senkrechten Durchströmung durch den Kreis, der durch die Rotorblätter beschrieben wird, zu erzeugen (Bild 4).
Für die durch den Downwash induzierten Strömungsgeschwindigkeiten gibt es eine einfache Näherungsformel, siehe z.B. [Teske1995].

Aus der sogenannten Scheibentheorie (actuator disk theory) ergibt sich die vom Hubschrauberrotor induzierte Downwash-Geschwindigkeit in der Ebene des Rotors. Sie hängt ab vom Gewicht des Hubschraubers, dem Rotordurchmesser, der Luftdichte und der Gravitationskonstante. Für die Geschwindigkeit am Boden ist das Doppelte der vom Downwash induzierten Geschwindigkeit anzusetzen.

Hierin sind
v_down: die vom Downwash induzierte Windgeschwindigkeit in vertikaler Richtung
G: die Gesamtmasse des Hubschraubers
R: der Durchmesser (!) des Rotors
die Luftdichte
g: die Erdbeschleunigung

Setzt man die Daten für die EC 135 in diese Formel ein, ergibt sich eine am Boden induzierte Strömungsgeschwindigkeit von

Da der Landeplatz auch für schwere Hubschrauber bis 5000 kg und mit Rotordurchmessern bis ca. 11 Meter zugelassen werden soll, ergibt sich aus der oben genannten Formel eine am Boden induzierte Strömungsgeschwindigkeit von

Referenzfläche für Lasteinwirkung infolge Hubschrauberflug In Bild 5 ist der Lastansatz infolge Hubschrauberflugs dargestellt. Für die Auswertung der Lastansätze ist davon auszugehen, dass die einzelnen Lasten nicht alle gleichzeitig wirken. Die Lastwirkung infolge Downwash ist der Scheibentheorie folgend, theoretisch auf eine Fläche begrenzt, die der Hälfte der Rotorfläche entspricht, siehe Abbildung 1. Für den Hubschraubertyp 1 ergibt sich damit einer Downwash-Geschwindigkeit auf einer kreisförmigen Fläche mit einem Durchmesser von ca. 8 m und für den Hubschraubertyp 2 auf einer Fläche mit einem Durchmesser von ca. 10 m.


Bild 5: Geschwindigkeitsverteilung unter dem Rotor [Bittner2005]

3. Aerodynamische Einwirkung

3.1 Aerodynamische Übertragung am Bauwerk

Durch die in Abschnitt 2 beschriebenen Annahmen liegen Abschätzungen für die zu erwartenden oberflächennahen Luftgeschwindigkeiten vor. (Spitzenwindgeschwindigkeiten , Teilsicherheitsbeiwerte) Wie diese Strömungsgeschwindigkeiten in Drücke auf die Oberflächen des Bauwerkes umgesetzt werden, wird als aerodynamische Übertragung bezeichnet und in aller Regel durch aerodynamische Druckbeiwerte beschrieben. Diese aerodynamischen Druckbeiwerte werden in Naturmessungen oder in Windkanalversuchen an maßstabsgetreuen Modellen des Baukörpers ermittelt. Solche Druckbeiwerte liegen für das geplante Bauwerk nicht vor. Im einschlägigen Fachschrifttum und den eingeführten technischen Baubestimmungen sind solche Druckbeiwerte für wenige Bauwerke mit einfachen Geometrien angegeben. Diese Druckbeiwerte entstammen stets Versuchen, bei denen der gesamte Baukörper einer gerichteten Luftströmung ausgesetzt ist die diesen vollständig umhüllt. Die Luftströmungen infolge Hubschrauberflugs sind stets lokal begrenzt, wodurch ein grundsätzlich anderer Strömungszustand erwartet werden kann. Die hier angegebenen Lastansätze basieren auf der Auswertung unterschiedlichen Fachschrifttums und der Erfahrung der Unterzeichner. Die in Bild 6 und 7 angegebenen Lasten sind charakteristische Lasten im Sinne der DIN 1055-100 und für den Nachweis mit einem Teilsicherheitsbeiwert zu beaufschlagen. Es wird ein Teilsicherheitsbeiwert von γ_F=1,5 für den Nachweis im Grenzzustand der Tragfähigkeit empfohlen.


Bild 6: Lastansatz für vertikale aerodynamische Lasten infolge Hubschrauberflug und Wind (charakteristische Lasten)
Bild 7: Lastansatz für horizintale aerodynamische Lasten infolge Hubschrauberflug und Wind (charakteristische Lasten)

3.2 Zusammenfassung

Für den geplanten Neubau einer Hubschraubelandeplattform für das Klinikum wurden die aerodynamische Einwirkungen auf das Bauwerk infolge Hubschrauberflugs ermittelt. Als maßgebender Zustand wurde der Schwebeflug außerhalb des Bodeneffektes angesehen, da hier die größte Triebwerksleistung zur Verfügung gestellt werden muss und somit die größten bodennahen Windgeschwindigkeiten zu erwarten sind. Die ermittelten Geschwindigkeiten für den Downwash sowie die Werte aus der Literatur für den Sidewash stellen erste Abschätzungen dar. Die Erfahrungen zeigen, dass durchaus auch mit höheren Geschwindigkeiten gerechnet werden kann. Auf Basis des Fachschrifttums wurden die aerodynamischen Belastungen der Bauteile infolge Hubschrauberflug ermittelt.

Literatur

[Cochran1999] Cochran, L., Peterka, J. & Petersen, R.: Physical modelling of rooftop helicopter exhaust flow dispersion. Journal of wind engineering and industrial aerodynamics, (83) pp. 347-360, 1999
[Slijepcevic1998] Alen Slijepcevic and Liam Fogarty: Reducing the influence of helicopter rotor wash on fire behavior. New Zealand Forest Research Institute, Fire Technology Transfer Note, Number 16, February 1998
[Teske1995] Teske, M.E.; Kaufman, A.E.; George, C.W.; Grim,B.S.; Barry, J.W.: Field measurements of helicopter rotor wash in hover and forward fligtht. Presented at the American Helicopter Society Northeast Region 2nd International Aeromechanics Specialists` Conference, Bridgeport, CT, pp 1-79-1-86, 1995
[DIN 1055-4] DIN 1055-4:2005-03: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 4: Windlasten, Beuth-Verlag GmbH, Berlin, 2005.
[Gerhardt1982] Gerhardt, H. J. & Kramer, C.: Untersuchungen zur Lagesicherung mittels Kies- und Plattenabdeckungen. In: Schriftenreihe Bau- und Wohnforschung des Bundesministers für Raumordnung. IRBVerlag, 1982
[Kind1977] Kind, R. J.: Tests to determine wind speeds for scouring and blowoff of roof top gravel, Poc. 4 th Copnf. Wind Effects on Buildings and Structures, Cambridge University Press, 1977
[Bittner2005] Bittner, W.: Flugmechanik der Hubschrauber. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 2005
[Troen1990] Troen, I. & Petersen, E. L.: Europäischer Windatlas, Risö National Laboratory, Dänemark, 1990

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