Flugzeuge erzeugen an den Flügelenden sog. Wirbelschleppen. Die Wirbel entstehen durch den Druckausgleich zwischen dem Überdruck an der UNter- und dem Unterdruck an der Oberseite. Es entsteht eine Querströmung, die sich zu einem Wirbel aufdreht, Bild 1.
Bild 1: Entstehung von Wirbelschleppen
Das nächste Bild 2 zeigt Wirbelschleppen, die mit Hilfe farbigen Rauchs sichtbar gemacht werden:
Bild 2: Sichtbare Wirbelschleppen
Die Wind-Umdrehungsgeschwindigkeiten solcher Wirbelschleppen sind beachtlich. Dadurch, dass sich die beiden Wirbel innen berühren sinkt der Wirbel ab. Aufgrund des Impulserhaltungssatzes ist es nicht möglich, dass sich die Wirbelschleppe auflöst, bevor sie den Erdboden (oder ein anderes Hindernis) erreicht hat und dort ein Impulsaustausch stattfindet. Während der Absinkzeit wird durch Luftreibung immer mehr Luft in Bewegung versetzt, wobei gleichzeitig aufgrund der Drehimpulserhaltung deren Geschwindigkeit abnimmt. Die Wirbelschleppe wird also mit der Zeit größer und langsamer. Dennoch könen am Boden noch Geschwindigkeiten im Bereich von 20 m/s auftreten. Hinzu kommt der Unterdruck im Inneren des Wirbels. Vgl. dazu den Bericht der DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt)
Die Wirbelschleppe hinter einem Flugzeug gefährdet andere Flugzeuge und kann gar zu deren Absturz führen. Die Gefahr ist umso größer, je schwerer das vorausfliegende und je leichter das folgende Flugzeug ist. Das Flugzeuggewicht spielt deshalb eine Rolle, weil das Gewicht des fliegenden Flugzeugs von den Auftriebskräften getragen werden muss. Je schwerer also das Flugzeug, desto mehr Auftrieb, ergo desto stärkerer Druckausgleich an der Flügelspitze. Die Bildung der Wirbelschleppe kostet Energie und vermindert den Auftrieb am Flügelende, weshalb viele Flugzeughersteller (wie z.B. Airbus Industries) am Flügelende kleine, vertikal stehende Flügelabschlussprofile einbauen, sog. winglets. Hierdurch wird die Umströmung der Flügelenden erschwert.
Wegen der Gefahr, die von vorausfliegenden Flugzeugen ausgeht, besteht insbesondere bei Flugzeugen in Bodennähe Probleme, also bei Start und Landung. Es haben sich deshalb die folgenden Flugregeln durchgesetzt, um diese Gefahr zu mindern:
Bei Landung hinter einem landenden großen Flugzeug auf derselben Landebahn:
In den Anflugsektoren von Flughäfen ist es wiederholt zu Gebäudeschäden in Form von herabgefallenen Dachziegeln gekommen, die auf die Einwirkung von Wirbelschleppen anfliegender Flugzeuge zurückgeführt werden. Hiervon sind überwiegend größere Verkehrsflughäfen betroffen, was nicht zuletzt mit dem hohen Anteil an Großraumverkehrsflugzeugen zusammenhängt. Hier konnte in der Vergangenheit etwa von einem Schadensfall auf ca. 100 Landungen ausgegangen werden. Auch von kleineren Regionalflughäfen werden in letzter Zeit solche Schäden berichtet.
Die Sollüberflughöhen lagen dabei in Bereichen von rund 62 m und 145 m über Grund. Bei den beteiligten Flugzeugen handelte es sich um die Typen Boeing 757, Boeing 737 und BAe146, deren maximale Landemassen zwischen etwa 95 t und 36 t betragen und die der Wirbelschleppenkategorie “Medium” (Bild 3) zuzuordnen sind (max. Startmasse >7 t, <136 t). Über den wichtigen Parameter des Gewichtes wurde bereits oben gesprochen, die Größe der Wirbelschleppe hängt unmittelbar damit zuzsammen:
Bild 3: Einordnung der beteiligten Flugzeuge in die IACO-Wirbelschleppenkategorien
Ich wurde gebeten ein einfaches Abschätzverfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe die Gefahr einer Dachschädigung rasch abgeschätzt werden kann. Mit am Gutachten beteiligt war Univ.Prof. Gunther Schänzer (Leiter des Institutes für Flugführung an der TU-Braunschweig).
Seit einer Landebahnverlängerung zur Schaffung der Möglichkeit für Start und Landung größerer Flugzeuge, sind im Anflug- und Startereich des betreffenden Flughafens Schadensfälle aufgetreten, die auf Wirbelschleppeneinfluss zurückgeführt wurden. Die Schadensgebiete liegen in einem Abstand von ca. 2300 bzw. 2400 m vor dem Sollaufsetzpunkt (entsprechend 1830 m und 1950 m vor der Landebahnschwelle) und 80 bzw. 175 m südlich der Anfluggrundlinie. Als Flughöhe über First sind rund 133 m festzustellen. Nach Untersuchungen des Flughafens und vorliegendem Radarbild wurden im jüngsten Fall Gleitpfad und Landekurs eingehalten. Zu deinem anderen Fall liegen keine Informationen über Anfluggenauigkeiten oder Art des Anfluges vor. In beiden Fällen wurde als Verursacher eine Boeing B737-800 ermittelt, also ein typischer Vertreter des Wirbelschleppenkategorie “Medium“ (Bild 3).
Informationen zu den Tageszeiten und Witterungsbedingungen bei Eintritt dieser Schäden liegen ebenfalls vor. Der nach METAR angegebenen Windgeschwindigkeit und -richtung während des ersten Schadensereignisses am 31.08.01 liegen 10min-Mittelwerte zugrunde. Die meteorologischen Daten während des zweiten Schadens am 16.09.02 wurden durch eine Messstation zur Erfassung von Lärmereignissen erfasst. In diesem Fall liegen quasi Momentanwerte zur Windsituation zum Zeitpunkt des Schadenseintritts vor. Allerdings ist zu bedenken, dass das Windfeld am Messort sowie der METAR nicht repräsentativ für das Geschehen am Schadensort sein müssen.
Im weiteren wird dargestellt, welche Wirbelintensitäten und daraus resultierenden Wirkungen auf die betroffenen Gebäude vom genannten Flugzeugtyp ausgehen und welche Maßnahmen zum Entschärfen der Situation beitragen können. Zusätzlich wird der Typ Boeing 757 in die Untersuchungen mit einbezogen. Dieser Typ ist im oberen Bereich der Kategorie “Medium“ angesiedelt und kann grundsätzlich von dem Flughafen aus eingesetzt werden.
Vom Betreiber des Flughafens wurde detailliertes Kartenmaterial zu den Gebieten der Einflugschneisen des Flughafens zur Verfügung gestellt. Darauf sind unter anderem die beiden infolge Wirbelschleppen beschädigten Gebäude markiert. Die Beurteilung der Dacheindeckungen erfolgte im zweiten Schadensfall auf der Grundlage der Fachregeln [D2] des Zentralverbandes des Deutschen Dachdecker-handwerks (ZDD). Der erste Schaden wurde von Mitarbeitern der Bauabteilung des Flughafens in Augeschein genommen. Ein Protokoll dieser Besichtigung liegt nicht vor. Beide Schadensdächer wurden – nach der Reparatur bzw. Wiederinstandsetzung – am 07.10.02 von außen begutachtet.
Jedes Flugzeug produziert in der Nachlaufströmung ein System aus zwei entgegengesetzt rotierenden Wirbeln. Ursache sind die mit dem Auftrieb verbundenen Druckunterschiede zwischen Flügelunterseite (Druckseite) und Flügeloberseite (Saug-seite), die zu einer reibungsbehafteten Ausgleichsströmung von der Druck- zur Saugseite führen. Hieraus bildet sich im Flügelnachlauf eine Wirbelschicht mit charakteristischer Geschwindigkeitsverteilung und führt zu einem Druckausgleich an den Flügelseitenkanten. Die Wirbelschicht rollt sich stromabwärts in weniger als einer Sekunde in zwei entgegengesetzte Spiralen auf. Ein Maß für die Stärke der Wirbelströmung ist die Zirkulation [m²/s]. Nach dem Satz von Kutta-Joukowsky [S5]:
(1)
ist die Zirkulation proportional dem Auftrieb A und umgekehrt proportional der Luftdichte ρ, der Flügelspannweite b, der Fluggeschwindigkeit V sowie dem Faktor k, welcher die Auftriebsverteilung längs der Spannweite berücksichtigt. Bei optimaler elliptischer Zirku-lationsverteilung nimmt k einen Wert von π / 4 an, im Falle ausgefahrenen Landeklap-pen sind in ungünstigen Fällen um 10-15% geringere Werte möglich. Im stationären Landeanflug entspricht der Auftrieb A in guter Näherung dem Gewicht G. Entscheidend ist das Verhältnis von Fluggewicht und Spannweite G / b, wenn man von gleicher Luftdichte und größenordnungsmäßig gleichen Werten Anfluggeschwindigkeit und Auf-triebsverteilung ausgeht. Es ist jedoch leicht nachzuvollziehen, dass eine Erhöhung der Landegeschwindigkeit, z.B. durch Verringerung des Landeklappenausschlages zu einer entsprechenden Verringerung der Wirbelintensität führt.
Bild 4: Tangentialgeschwindigkeit im Randwirbel als Funktion des Abstandes vom Wirbelzentrum
Das Geschwindigkeitsfeld eines Randwirbels ist als zäher Wirbel gekennzeichnet durch eine rotationssymmetrische Strömung, mit einer maximalen Tangentialgeschwindigkeit V_T am Ort des Wirbelkernradius r_c (Bild 4).
Nach Untersuchungen von HEINTSCH [H1] unterscheiden sich die Wirbelkernradien für verschiedene Flugzeugkategorien nur unwesentlich. Er beträgt kurz nach dem Aufrollvorgang des Wirbels einige Dezimeter und wächst mit zunehmendem Alter auf wenige Meter an (Bild 5):
Bild 5: Wirbelkernradius in Abhängigkeit des Wirbelalters für Flugzeugmuster der drei Wirbelschleppenkategorien [H1]
Durch gegenseitige Geschwindigkeitsinduktion erfolgt ein Absinken des Wirbelpaares mit einer anfänglichen Sinkgeschwindigkeit w:
Diese hängt somit von der Zirkulation und dem Abstand der beiden Wirbelkerne y‘ ab (y’=k b), k kann Werte zwischen 0,65 und bp*0,25 annehmen). Je nach Flugzeugtyp liegen die Anfangswerte der Wirbelsinkgeschwindigkeit zwischen 0,5 m/s und 2,5 m/s. Infolge des Bodeneffektes driften die Wirbel mit Annäherung an den Boden mit gleicher Geschwindigkeit auseinander (Bild 6, wobei sich der Wirbelkern näherungsweise in über dem Boden befindet. In einigen Fällen kommt es auch zu einem Wiederanstieg (Reboundeffekt). Zusätzlich zum selbstinduzierten Anteil erfolgt eine weitere Beeinflussung der Wirbelschleppenwanderung durch den Hintergrundwind (z.B. Verdriften durch den Seitenwind).
Schematische Darstellung des Wirbelsinkvorgangs mit und ohne Seitenwind [H1]
Mit der Alterung der Wirbel nimmt die Zirkulation ab und damit auch Tangentialgeschwindigkeit und Sinkgeschwindigkeit der Wirbel (Bild 7). Diese Effekte wer-den wesentlich durch die Turbulenz der Atmosphäre beeinflusst. Mit zunehmender Turbulenz (in diesem Fall ausgedrückt durch die Standardabweichung verstärkt sich der Alterungsprozess des Wirbels. Weiterhin wird der Wirbelzerfall nach DONALDSON [D1] vom Abstand der Wirbelkerne als flugzeugspezifische Größe beeinflusst: Eine kleine Spannweite forciert den Zerfall.
Bild 7: Zusammenhang zwischen Turbulenz, mittlerer Windgeschwindigkeit und Stabilität der Atmosphäre nach [S1]
In Bild 7 ist dieser Zusammenhang graphisch dargestellt. Die hieraus resultierende Zunahme des Wirbelzerfalls mit der Windgeschwindigkeit deckt sich mit den Beobachtungen. Eine Auswertung von Messergebnissen (z.B. bei FRANKE [F1]) zeigt eine erhebliche Streuung der Daten, da die unterschiedlichen Turbulenzeinflüsse meist nicht erfasst werden.
Bild 8a: Wirbelsinkgeschwindigkeit | Bild 8b: Absinkhöhe des Wirbels |
Bild 8c: Tangentialgeschwindigkeit des Wirbels
Bild 8: Sinkgeschwindigkeit, Absinkhöhe, Tangentialgeschwindigkeit der Wirbelschleppe einer B757-300 als Funktion des Wirbelalters und der Turbulenz in der Atmosphäre (Simulation)
Hinsichtlich der Einwirkung auf Gebäude kann neben den vom Wirbelpaar induzierten Strömungsgeschwindigkeiten ein weiteres Phänomen von erheblicher Bedeutung sein, nämlich der im Wirbelkern herrschende Unterdruck. Theoretische Untersuchungen und Windkanalmessungen sind seit längerem bekannt, ebenso Erfahrungen über die Sogwirkungen von kleinräumigen Wirbelstürmen (Tornados, Tromben). Quantitative Aussagen über tatsächlich auftretende Unterdrücke in Wirbelschleppen-Kernbereichen von Flugzeugen der Kategorie „Medium“ konnten vor einigen Monaten von einem der Autoren durch den Einsatz von Messflugzeugen ermittelt werden.
Bild 9 zeigt beispielhaft Messergebnisse der Flugversuche, wobei der gemessene maximale Unterdruck über der maximalen Tangentialgeschwindigkeit w_T,max aufgetragen ist Für den relevanten Bereich von wT,max (≤12 m/s) erhält man Unterdrücke bis zu 13 hPa = 1300 N/m2. Die starke Streuung der Daten ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Wirbel beim Durchfliegen von den Sensoren in verschiedenen Abständen zum Wirbelzentrum angeschnitten wurden und somit nicht in allen Fällen die maximalen Tangentialgeschwindigkeiten bzw. Unterdrücke erfasst wurden. Beim Auftreffen auf Gebäude sind entsprechende Effekte zu erwarten, so dass die Messwerte für diese Fälle durchaus relevant sind.
Bild 9: Gemessene Unterdrücke im Wirbelkern als Funktion der maximalen Tangentialgeschwindigkeit (Wirbelerzeuger VFW 614, m=20 to)
Die hier zu betrachtenden Flugzeugmuster Boeing B737-800 und B757-300 sind bezüglich ihrer maximalen Landemasse von ca. 65 t bzw. 101 t der Wirbelschleppenkategorie ”Medium” zuzuordnen (Bild 3). Diese umfasst mit Startmassen zwischen 7,5 t und 136 t einen relativ großen Bereich und beinhaltet somit recht unterschiedliche Wirbelschleppenintensitäten. Daher wurde z.B. in Großbritannien der Bereich ”Medium” in drei weitere Bereiche unterteilt (”Upper Medium”, ”Lower Medium”, ”Small”). Es ist darauf hinzuweisen, dass die B757, die bezüglich ihrer Startmasse im oberen ”Medium-Bereich” angesiedelt ist, aufgrund ihrer besonderen Wirbelschleppen-Charakteristik als „Wirbelerzeuger“ der Kategorie ”Heavy” zugeordnet wird (siehe [D1]). Der bekannt ungünstigen Wirbelschleppencharakteristik der B757 soll hier Rechnung getragen werden, wenn auch die genaue Ursache nach derzeitigem Kenntnisstand der Autoren nicht geklärt ist. Sie könnte möglicherweise aus einer ungünstigen Auftriebsverteilung längs der Spannweite in Landekonfiguration resultieren (ausgedrückt durch den Faktor k in Glg.1). Im folgenden wird daher bei der B757-300 mit einem um 15% gegenüber der idealen elliptischen Auftriebsverteilung verringerten Wert für k gerechnet, so dass damit eine Anfangszirkulation vorliegt, wie für Flugzeuge unteren ”Heavy”-Bereich typisch ist. Zum Nachvollziehen der Intensität und Auswirkung der Wirbelschleppen an Orten der beobachteten Gebäudeschäden im Anflugbereichen 24 wurde das zeit-lich/räumliche Verhalten der Wirbelschleppen der genannten Flugzeugtypen für unterschiedliche Turbulenzgrade der Atmosphäre berechnet. Die Simulationsrechnungen basieren auf einem Ingenieurmodell von HEINTSCH [H1]. Dieses Modell wurde von einem aufwendigen, sehr rechenzeitintensiven strömungsmechanischen Modell abgeleitet, bei dem die Wirbelfläche im Nachlauf des Flügels durch 1500 Einzelwirbel diskretisiert wird und den Entwicklungsprozess des Randwirbels einschließlich Aufrollprozess beschreibt. Es gehört zu den wenigen Modellansätzen, die auch den zeitlichen Verlauf des Wirbelkernradius realistisch beschreibt [M1]. Die Validierung erfolgte mittels Messdaten. Das daraus entwickelte Ingenieurmodell beschreibt die Tangentialgeschwindigkeit flugzeugspezifisch als Funktion der Zeit, des Ortes (Abstand von der Wirbelachse r) und der Intensität der Atmosphärenturbulenz (ausgedrückt durch die Standardabweichung ). Die Abweichung der berechneten Tangentialgeschwindigkeiten des vereinfachten Modells von den Werten des Einzelwirbelverfahrens ist kleiner als 3%. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Modelle Mittelwerte liefern. Wirbelvermessungen vom Flugzeug aus [F3] haben gezeigt, dass Momentanwerte Variationen um den Mittelwert von mehr als 30% aufweisen können.
Ausgehend von den maximalen Tangentialgeschwindigkeiten in Abhängigkeit der Zeit und der Turbulenz der Atmosphäre wurde das Absinken der Wirbel aus Überflughöhen über die beiden Gebäude im Anflugbereichen 24 ermittelt, die den vorliegenden Schadensmeldungen zu entnehmen war. Aus den vorliegenden Wetterdaten der Schadensereignisse am 31.08.2001 bzw. 16.09.2002 geht hervor, dass mit Windgeschwindigkeiten von 2,5 m/s bzw. 2,8 m/s ausgesprochene Schwachwindlagen vorherrschten. Es kann daher von schwach ausgeprägter Turbulenz der Atmosphäre ausgegangen werden. Als ungünstigster Fall wurde mit vernachlässigbar geringer Turbulenz gerechnet, da in diesem Fall die Alterung des Wirbels am geringsten, und das Absinken des Wirbels am größten ist.
Bild 10: Vergleich der maximalen Tangentialgeschwindigkeiten im Randwirbel der betrachteten Flugzeugtypen als Funktion des Wirbelalters
Da die Geländehöhe in den Schadensbereichen rund 21 m unterhalb des Sollaufsetzpunktes der Landebahn liegt, ergeben sich in beiden Fällen mit 145 m über Grund nahezu die gleichen Überflughöhen. Die Firsthöhen der betroffenen Gebäude betragen ca. 12 m. Ein Schadensgebiet befindet sich etwa 80 m südlich von der Anfluggrundlinie. Die angegebene mittlere Windrichtung von 210° bedeutet jedoch eine Seitenwindkomponente 1,25 m/s von links (in Flugrichtung gesehen), d.h. die Randwirbel würden auf das Gebiet nördlich der Anfluggrundlinie verdriften. Ein Einwirken des Backbordwirbels auf das Gebäude setzt somit eine leichte Querwindkomponente von rechts voraus. Eine mögliche Erklärung für das Auftreten der Wirbel auf das beschädigte Dach wäre eine Abweichung des Flugzeuges vom Landekurs. Bei einem durch ILS geführten „Precision Approach“ sind größere Abweichungen rund 2 km vor dem Aufsetzpunkt mehr als unwahrscheinlich, hingegen bei einem „Non-Precision Approach“ oder bei Sichtanflug durchaus möglich. Diesbezüglich liegen allerdings keine Informationen vor. Neben der grundsätzlichen Änderung der Windrichtung in Abhängigkeit der Höhe (rechtsdrehend mit der Höhe), ist bei Schwachwindlagen zudem häufig eine starke Variation der Windrichtung zu beobachten. Abweichungen des Momentanwertes vom angegebenen 10-min Mittelwert der Windrichtung um 40 – 50° sind durchaus denkbar, wie Messergebnisse belegen [S4]. Damit lässt sich das Einwirken der Wirbel auf das betreffende geschädigte Gebäude erklären. Für die Wirbellaufzeit aus der Überflughöhe bis zum First ergeben sich rechne-risch rund 80 Sekunden, woraus eine zugehörigen maximalen Tangentialgeschwindig-keiten in Firsthöhe von 6,7 m/s resultiert. Rechnet man noch Wirbelwandergeschwindigkeit und Horizontalwindkomponente hinzu, so erhält man eine maximale resultieren-de Strömungsgeschwindigkeiten von knapp 10 m/s. Hieraus folgt ein Staudruck an den Dachziegeln von rund 60 N/m2 und für einen aerodynamischen Druckbeiwert von c = 1 ein Sog in gleicher Größe, vgl. Windstatik. Dieser Wert sollte bei ordnungsgemäßer Dacheindeckung keine Schäden hervorrufen. Selbst unter der ungünstigen Annahme, dass der Momentanwert der Tangentialgeschwindigkeit im Wirbel vom rechnerischen Mittelwert in diesem Fall deutlich abgewichen ist, wären Staudrücke im Bereich von 100 N/m2 zu erwarten. Eine solche Einwirkung wäre ebenfalls als noch unkritisch anzusehen. Für den anderen Schadensfall (16.09.02, 17:34 Uhr) ergibt sich bei nahezu gleicher Überflughöhe ein laterale Abstand von der Anfluggrundlinie von 175 m (südlich). Die vorliegenden Wetterdaten weisen auch hier eine Schwachwindlage aus, und zwar mit VW = 2,8 m/s aus einer Windrichtung von 281°. Mit der sich hieraus ergebenden Seitenwindkomponente von 1,8 m/s (von rechts) lässt sich die Wirbelwanderung zum Schulgebäude gut nachvollziehen. Aufgrund der vergleichbaren sonstigen Randbedingungen ergeben sich selbstverständlich die gleichen unterkritischen Strömungsge-schwindigkeiten bzw. Staudrücke am Dachfirst.
Windkanalmessungen am Modell eines sturmgeschädigten Hauses [A1] haben gezeigt, dass in Abhängigkeit vom Eigengewicht der Dacheindeckung in bestimmten Dachbereichen Schäden bei Strömungsgeschwindigkeiten von 20 m/s (Falzziegel) bzw. 14 m/s (leichtere Ziegel) auftreten können, während bei weniger exponierten Dachbereichen mit c < 1 die kritischen Geschwindigkeiten oberhalb 30 m/s liegen (Kap. 6.4). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch das BRITISH BUILDING RESEARCH ESTAB-LISHMENT auf der Grundlage von Untersuchungen von Gebäudeschäden am Ver-kehrsflughafen London-Heathrow (s.a. Kap. 5), wonach kleinere Dachschäden oberhalb Windgeschwindigkeiten von 22 m/s und größere Schäden oberhalb von 32 m/s zu erwarten seien. Dies bestätigt die Aussage, dass die für die B737-800 ermittelten Werte in beiden Fällen im unterkritischen Bereich liegen, vorausgesetzt, die Dächer be-finden sich in ordnungsgemäßem Zustand.
Entsprechende Rechnungen für den Flugzeugtyp Boeing 757-300 liefern erwar-tungsgemäß höhere Werte. In diesem Fall beträgt die Zeit des Absinkens der Wirbel bis in Firsthöhe fast 59 Sekunden und die zugeordnete maximale Tangentialgeschwindig-keit rund 12 m/s. In Verbindung mit der Wirbeltransportgeschwindigkeit und dem Horizontalwind ergibt sich eine Strömungsgeschwindigkeit von ca. 16,5 m/s mit entsprechendem Staudruck von 170 N/m2. Erst unter der Annahme, dass die auftretenden Momentanwerte die mittleren Modellwerte um ein Drittel überschreiten, erhält man Strömungsgeschwindigkeiten um 20 m/s bzw. Staudrücke um 250 N/m2. Hiermit wären kritische Sogwerte annähernd erreicht und die bauliche Unversehrtheit des Daches unter Umständen nicht mehr gewährleistet. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass es an einem anderen Flughafen zu Dachbeschädigungen bei ähnlich großen Überflughöhen mit dem Muster B757 gekommen ist. Allerdings befanden sich in diesen Fällen Dach oder Ziegel nicht in gutem Zustand. In diesem Zusammenhang ist anzumer-ken, dass nach DIN 1055 T4 zur Berücksichtigung von Windeinwirkungen für Gebäudeteile, die 8 bis 20 m über Gelände liegen, eine Windgeschwindigkeit von 35,8 m/s (= 800 N/m²) in Rechnung zu stellen ist. Das heißt, wenn das Gebäude schon bei einer durch Wirbelschleppen hervorgerufenen Strömungsgeschwindigkeit von ca. 20 m/s Schäden aufwies, wären diese bei dem nächsten stärkeren Windereignis ohnehin aufgetreten. Bei Dächern in nicht ordnungsgemäßem baulichen Zustand kann die Dacheinde-ckung schon bei geringen Strömungsgeschwindigkeiten hinsichtlich eines Wirbel-schleppenschadens gefährdet sein. So sind bei einem anderen Flughafen zwei Schadensfälle mit dem Typ B737 bei Überflughöhen über First von 106 und 98 m aufgetreten, in denen das Dach alt und reparaturbedürftig oder in schlechtem Zustand war. Die anderen Fälle im Zusammenhang mit dem Typ B737 traten bei ordnungsgemäßem Dachzustand und Überflughöhen zwischen 51 und 66 m auf. Es stellt sich somit die Frage, wie es im Anflugbereich 24 des hier betrachteten Flughafens bei vergleichsweise großen Überflughöhen mit dem Flugzeugtyp B737-800 zu Dachbeschädigungen kommen konnte, obwohl die induzierten Strömungsgeschwindigkeiten und resultierenden Druckverhältnisse unterkritisch sind. Hierfür sind folgende mögliche Gründe denkbar:
Bild 11: Wirbelschleppensimulation einer B737-800 im Landeflug bei Windstille und bei Seitenwind, Turbulenz = 0,2 m/s (modifizierte Darstellung nach [U1])
Mit Einführung von Großraumflugzeugen in den Luftverkehr Ende der sechziger Jahre traten in den Anflugsektoren einiger Verkehrsflughäfen vermehrt Gebäudeschäden auf. Aufgrund der meist geringen Überflughöhen (teilweise unter 50 Meter GND) wurden die Beschädigungen mit anfliegenden Verkehrsflugzeugen in Verbindung gebracht und hatten spezielle Untersuchungen initiiert. Diese betrafen z.B. die Flughäfen Berlin-Tempelhof, Hamburg, Düsseldorf und London-Heathrow, wo in betroffenen Gebieten Messkampagnen an Gebäuden zur Erfassung der Strömungsgeschwindigkeiten, des Umgebungsdruckes und zum Teil auch der Schwingungen von Dachziegeln durch-geführt wurden. Die in verschiedenen Veröffentlichungen und Gutachten dargestellten Ergebnisse sind bei WEBER/ULKEN [W1] ausführlich beschrieben und sollen im folgenden kurz zusammengefasst werden.
Berlin Tempelhof (1971) Das Dach eines mehrfach betroffenen Hauses befand sich 52 Meter unterhalb des Sollgleitpfades, ca. 40 Meter seitlich versetzt. Als Höchstwert der gemessenen Strömungsgeschwindigkeit wurde 30 Sekunden nach dem Überflug einer Boeing 727 17,6 m/s ermittelt. In Anbetracht der geringen Anzahl der vermessenen Landungen und der Unsicherheit, ob jeweils der Kern der Wirbel erfasst wurde, gingen die involvierten Berliner Wissenschaftler davon aus, dass im untersuchten Dachbereich durchaus Geschwindigkeiten von über 20 m/s auftreten könnten. Bei einem angenommenen Druck-beiwert von c = 1 könnte dies bei daraus resultierenden Unterdrücken von knapp 250 N/m2 zumindest zu leichten Schäden führen.
Hamburg – Fuhlsbüttel (1969/1971) Bei Überflughöhen von 60 Meter wurden während der Messungen im Dachbereich im Zusammenhang mit der Boeing 747 Druckdifferenzen bis zu 240 N/m2 ermittelt. Dies ist für diese Flugzeugkategorie als relativ gering einzustufen, wurden doch in den USA 40 Sekunden nach dem Überflug Tangentialgeschwindigkeiten von bis zu 30 m/s erfasst, entsprechend einer Druckdifferenz von 550 N/m2 (bei c = 1). In dem damaligen Hamburger Gutachten wird aufgrund der Messergebnisse und einer angenommenen kritischen Druckdifferenz von 100 N/m2 geschlossen, dass Dachschäden bei Überflughöhen von maximal 60 Meter (75 Meter bei der B747) auftreten könnten. Sofern Schäden in Einzelfällen bei größeren Überflughöhen aufgetreten seien, wären die gleichen Schäden aufgrund des mangelhaften Dachzustandes beim nächsten Sturm entstanden. Es muss erwähnt werden, dass die statistische Basis mit 16 B747-Überflügen relativ gering war. Düsseldorf (Ratingen-Tiefenbroich, 1978/1981) Zwischen Juli 1978 und August 1981 wurden im Anflugbereich 24 des Verkehrs-flughafens Düsseldorf 42 Gebäude mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Wirbelschleppen beschädigt (teilweises Abheben von Dachpfannen). Die Sollüberflughöhen betrugen in 41 Fällen 171 bis 220 m, in einem Fall 128 m. Eine Analyse von 33 Fällen zeigte, dass Gebäudeschäden auftraten bei
Eine bestimmte Vorzugsrichtung der Orientierung von geneigten Dachflächen beschädigter Gebäude relativ zur Anflugrichtung war nicht feststellbar. Die Lage der Schadensstelle bezüglich der Anfluggrundlinie (maximal 271 m seitliche Ablage) war mit dem gemessen Seitenwind vereinbar (in 85% der Fälle unter 2 m/s). Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den Windmessdaten um 10-min Mittelwerte der bis zu 4 km entfernt am Flughafen gelegenen Messstationen handelt. Diese Werte müssen weder für die aktuelle Windsituation am Schadensort noch für den Wind in Höhe der Flugbahn repräsentativ sein. Im Jahre 1997 wurden zwei Messkampagnen durchgeführt, in denen Druckmessungen auf Hausdächer in einer Entfernung von 3000 bis 3600 m vom Sollaufsetzpunkt und bis zu 200 m seitlich der Anfluggrundlinie erfolgten. Die erste Messreihe war nicht sehr ergiebig. Die Messungen wurden automatisch 30 Sekunden nach dem Überflug beendet. Aus einer Überflughöhe von 160-190 m konnten die Wirbel die Messstellen in dieser kurzen Zeit nicht erreichen. Die teilweise an windigen Tagen ermittelten maxima-len Druckdifferenzen zwischen 26 N/m2 und 89 N/m2 sind daher wohl dem natürlichen Wind zuzuschreiben. Die zweite Messreihe erfolgte überwiegend bei Schwachwindlagen. Bei geeigneten Wetterlagen kam es 70 bis 100 Sekunden nach dem Überflug zu einer kurzen Druckspitze, der stets ein größerer Sog folgte (die Wirbellaufzeiten stimmen mit den dargestellten Modellvorstellungen gut überein). Es konnte jedoch kein sta-tistisch gesicherter Zusammenhang zwischen der Größe der Ausschläge und der Größe der beteiligten Flugzeuge hergestellt werden. Leider liegen für die zweite Messreihe keine quantitativen Ergebnisse vor. Es sei noch erwähnt, dass die Schadenshäufigkeit in Düsseldorf in der Folgezeit durch Maßnahmen der Gebäudesicherung deutlich ab-nahm. London-Heathrow (1968/1975) Erste Schadensmeldungen im Anflugbereich RWY 28R (3°-Gleitpfad) wurden im Jahre 1968 bekannt. Im allgemeinen wurden Dachziegelflächen in der Größenordnung von 1 m2 abgedeckt. In einigen Fällen konnten Überflüge in 60 m Höhe bei schwachen Winden zugeordnet werden. Die britische zivile Luftfahrtbehörde CAA ließ im Jahre 1975 eine Untersuchung der Phänomene durch das Royal Aircraft Establishment RAE und das Building Research Establishment BRE durchführen. Das RAE schätzte aus Analysen sturmbedingter Dachschäden, dass kleinere Schäden bei Windgeschwindigkeiten oberhalb 22 m/s auftreten, größere Schäden Windgeschwindigkeiten von min-destens 32 m/s erfordern (ordnungsgemäßer baulicher Zustand vorausgesetzt). Bei Randwirbeln von Großflugzeugen könnten jedoch kaum Strömungsgeschwindigkeiten von mehr als 30 m/s auftreten, wenn die Wirbel auf Dachhöhe abgesunken sind, so dass für größere Schäden eine Überlagerung mit der Windgeschwindigkeit erforderlich sei. Das BRE führte aus, dass die Wirbelschleppen zugeschriebenen Schäden denen ähneln, die durch kleine Wirbelwinde verursacht worden seien und sich von den durch Starkwind hervorgerufenen Dachschäden unterscheiden. Es wurden weiterhin Experimente durchgeführt, um das Absinken der Wirbel auf Gebäudehöhe zu untersuchen. Dabei wurden auf Dächern von fünf Häusern – das erste Haus lag 1600 m von der Landebahnschwelle entfernt – Spitzendruckanzeiger angebracht und drei Monate beobachtet. Es wurden acht Ereignisse beobachtet, bei denen Sogspitzen zwischen 120 und 240 N/m2 auftraten. In fünf dieser Fälle lag die Windgeschwindigkeit über 12 m/s, in zwei Fällen knapp unter 12 m/s, so dass der natürliche Wind als Ursache wahrschein-lich ist. In allen anderen Fällen war eine geringe Windstärke zu verzeichnen. Es wurde gefolgert, dass Wirbelschleppen anfliegender Flugzeuge an Dachziegeln bestimmter Häuser in der Nähe des Flughafens Heathrow kritische Unterdrücke hervorrufen kön-nen, so dass Dachziegeln angehoben werden. Eine Vermessung der tatsächlichen An-flugbahnen hatte übrigens eine recht genaue Einhaltung des Sollgleitpfades ergeben. Als mögliche Maßnahmen zur Verringerung der Gebäudeschäden wurde eine Verschiebung des Gleitpfades in Runway-Richtung diskutiert, aus wirtschaftlichen Gründen jedoch verworfen. Eine Umsetzung der ILS-Antennen und Landebahnbefeue-rung, zeitweise Betriebseinschränkungen und eine Verkürzung der nutzbaren Landebahnlänge hätten bei einem resultierenden Höhengewinn von 30 m keine Lösung des Wirbelschleppenproblems bedeutet. Da auch Maßnahmen am Flugzeug zur Beschleunigung des Wirbelzerfalls als unrealistisch angesehen wurden, blieb als einzig durchführbare langfristige Lösung eine Verstärkung der den Wirbeln am stärksten ausgesetzten Hausdächer. Aus Kostengründen wurde eine Klammerung vorgeschlagen. Im Jahre 1975 hat das BRE hierfür spezielle nichtrostende Klammern entwickelt, die man vom Dachboden aus einsetzen kann, ohne die Ziegel zu entfernen. Sie kamen jedoch wegen Unsicherheiten über die Anzahl der betroffenen Häuser, Zustimmung der Hausbesitzer, der Finanzierung und der ausreichenden Verfügbarkeit der Klammern damals nicht zum Einsatz. Später hat die British Airports Authority einen Versicherungsplan aufgestellt, nach dem betroffene Hausbesitzer zu entschädigen sind. Die CAA hatte zum damaligen Zeitpunkt als Wahrscheinlichkeit das Auftreten eines Dachschadens pro 104 Landungen und eines Personenschadens je 107 Landungen abgeschätzt. Der erste Wert stimmt mit dem im Jahre 1981 von Ulken/Weber [U1] für Düsseldorf gemachten Angaben ungefähr überein. Friedrichshafen (1992-1998) In den Jahren 1992 bis 1998 waren am Regional-Flughafens Friedrichshafen 47 Schadensfälle im Dachbereich von Gebäuden zu verzeichnen, die sich zwischen 1200 und 2670 m vor dem Aufsetzpunkt der Landebahnen RWY06 bzw. RWY24 befanden und maximal ±80 m seitlich von der Anfluggrundlinie versetzt waren. Die Soll-Überflughöhen lagen in Bereichen von rund 62 m GND und 145 m GND bzw. 50 m bis 131 m über First. Bei den beteiligten Flugzeugen handelt es sich um die Typen Boeing 757 (als Wirbelerzeuger “Heavy“-Kategorie), Boeing 737 und BAe 146, deren maximale Landemassen zwischen etwa 95 t und 36 t angesiedelt sind und der Kategorie ”Medium” (Bild 1) zuzuordnen sind (max. Startmasse >7 t, <136 t). Der Typ B737 war in Friedrichshafen einer der häufigsten Verursacher (1996 zu über 80%, was jedoch dem Anteil an der Gesamtheit der Landungen entsprach).
Zur Lösung der Probleme wurden sowohl flugbetriebliche Maßnahmen getroffen (Gleitpfaderhöhung RWY 06, Landegeschwindigkeitserhöhung bei verringertem Landeklappenausschlag für bestimmte Flugzeugmuster, Ausweisung einer Vorzugslanderichtung über weniger dicht bebautem Gebiet für Flugzeuge über 40 t MTOM) als auch bauliche Maßnahmen, wie zum Beispiel das Sichern der Dachziegel mit Sturmklammern für Gebäude in einem gefährdeten Gebiet.
In den folgenden Abschnitten werden zunächst die unterschiedlichen Einflüsse dargestellt, welche die Druck- oder Sogverhältnisse an Dächern beeinflussen. Hiermit gelingt eine Erklärung der unterschiedlichen Phänomene. Darüber hinaus lassen sich damit Strategien entwickeln, nach denen bei der ggf. erforderlichen Sanierung vorgegangen werden kann.
Eine große Auswirkung auf die abhebenden Kräfte hat die Windgeschwindigkeit bzw. die Wirbelumfangsgeschwindigkeit. Nach Kap. 3 ergeben sich entsprechend den Simulationsberechnungen zum Zeitpunkt des Schadenseintritts Geschwindigkeiten von ca. 10 m/s, mit der die Strömung auf die beschädigten Dächer trifft. Diese Strömungsgeschwindigkeit geht quadratisch in den Geschwindigkeitsdruck (Staudruck) ein. Es gilt ( 3 ) wobei v die der Berechnung zugrunde zu legende Geschwindigkeit ist und hinreichend genau für Luft = 1,25 kg/m³ angenommen werden kann. Mit v in m/s ergibt sich damit vereinfachend q = v² / 1600 in kN/m². Wegen des quadratischen Einflusses auf den Staudruck hat die tangentiale Strömungsgeschwindigkeit der Wirbelschleppen einen großen Einfluss auf die Beanspruchung der Dachflächen. Die Strömungsgeschwindigkeit hängt dabei im wesentlichen von der Überflughöhe und dem Flugzeuggewicht ab (vgl. Glg. 1). Insofern haben flugtechnische Maßnahmen, die zu einer Reduzierung der Wirbelschleppengeschwindigkeit führen, einen signifikanten Einfluss.
Das natürliche Windgeschehen lässt sich anschaulich deuten als eine durch Hoch- und Tiefdruckgebiete entstehende, weitgehend laminare Strömung in größerer Höhe. Bedingt durch die Rauigkeit der Erdoberfläche wird die Strömung in der Nähe der Erdoberfläche turbulent, d.h. böig. Die turbulente Strömung kann als eine mittlere Grundströmung gedeutet werden, in der unterschiedlich große, beliebig rotierende Turbulenzballen, wie Bälle ”mitschwimmen”. Dabei durchdringen sich die Wirbel von unterschiedlicher Größe mit unterschiedlicher Orientierung und Rotationsgeschwindigkeit. In einem großen Wirbel können kleinere Wirbel mit ungleicher Umdrehungsgeschwindigkeit ent-halten sein. Die von landenden Flugzeugen induzierten Wirbelschleppenstrukturen unterscheiden sich deshalb von denen des natürlichen Windes, da die Wirbelschleppen als horizontal ausgerichtete, kleinräumige Wirbelströmungen entsprechend horizontal ausgerichteten Tornados betrachtet werden können.
Die mittlere Windgeschwindigkeit in Bodennähe ist bei ”natürlichen” Windereignissen in starkem Maße von der Rauigkeit des Geländes abhängig, das Windgeschwindigkeitsprofil nimmt bei Annäherung an den Boden deutlich ab (Grenzschichtströmung). Der Rauigkeitseinfluss spielt beim Phänomen Wirbelschleppe jedoch eine sekundäre Rolle. Da die Wirbelschleppen sich im wesentlichen in vertikaler Richtung bewegen, werden sie unmittelbar von der Rauigkeit der Erdoberfläche nur wenig berührt. Durch die Rauigkeit der Erdoberfläche entwickelt sich (bei gleichzeitig wirkenden natürlichen Winden) die o.a. Turbulenz, welche die Energie der Wirbelschleppe dissipiert bzw. die für den Zerfall der Wirbel im wesentlichen verantwortlich ist.
Im allgemeinen weisen Häuser einen rechteckigen Grundriss mit einem Sattel-, Pult-, Walm- oder Flachdach auf. Im Bereich des betrachteten Flughafens sind insbesondere Satteldächer zu finden. Die Winddruckverteilung an Dachoberflächen ergibt sich durch Multiplikation des Geschwindigkeitsdrucks q mit dem für den jeweiligen Teilbereich anzusetzenden aerodynamischen Druckbeiwert c_P. Die für eine Berechnung der Dachlasten erforderlichen aerodynamischen Beiwerte hängen von einer Vielzahl von Parametern ab, wie z.B. der Neigung der Dachfläche, der Anströmrichtung, den Verhältnissen Länge zu Breite und Breite zu Höhe, der Kantenausbildung, der Strukturierung der Bauwerksoberfläche etc. In den Normen für die Lastannahmen infolge Wind (z.B. DIN 1055 T4) werden nur die Beiwerte für glatte Oberflächen, ohne lokale Störungen angegeben. Untersuchungen an Dächern mit Stö-rungen infolge Dachdurchdringungen, Schornsteinen, Dachgauben etc. sind nach Kenntnis der Verfasser wenn überhaupt, dann nur für Sonderfälle durchgeführt worden. Die Ergebnisse sind nicht verallgemeinerbar. Die verallgemeinerbaren Einflüsse werden im folgenden kurz dargestellt.
Die Anströmrichtung Θ beeinflusst die Größe der aerodynamischen Beiwerte erheblich . Die im Eurocode 1 (EC 1) für verschiedene Dachformen angegebenen Beiwerte für die orthogonalen Anströmrichtungen 0°, 90° und 180° sind die höchsten auftretenden Werte innerhalb des Bereichs von ±45° um die jeweils zugrunde gelegte orthogonale Anströmrichtung. Es wird zwischen Anströmrich-tungen parallel zum First bzw. zur Traufe (Θ = 90°) und senkrecht dazu (Θ = 0° bzw. 180°) unterschieden. Zwar sind die Wirbel im wesentlichen parallel zu den Landebahnen ausgerichtet, die Orientierung der Gebäudekanten ist jedoch sehr verschieden. Die Wirbelschleppe und die Dachflächen schließen im allgemeinen Fall nahezu jeden beliebigen Winkel miteinander ein. Für eine Bemessung sollte daher von der ungünstigsten Anströmrichtung ausgegangen werden.
In den Bereichen der Schnittkanten von Wand- und Dachflächen (First, Traufe etc.) treten gegenüber den innenliegenden Dachflächen erhöhte Windlasten auf. Diese sind durch die dort auftretenden hohen lokalen Windgeschwindigkeiten bedingt, die zu hohen lokalen Sogspitzen führen. Nach den geltenden Normen, wie z.B. DIN 1055 T4 oder EC 1, ist daher das Dach in Bereiche einzuteilen, für die verschiedene aerodyna-mische Beiwerte anzusetzen sind (Bild 10). Eine Erhöhung der Windgeschwindigkeiten im Bereich von Kanten tritt gleicher-maßen auch beim Auftreffen von Wirbelschleppen ein. So zeigen auch die Schadensbeschreibungen der Dächer in [P4] in den Randbereichen häufig Unregelmäßigkeiten, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf diesen Einfluss zurückzuführen sind.
Bild 12: Einteilung eines Satteldachs in verschiedene Bereiche; Eurocode 1, Bild 11.2.6
Wie erwähnt, ruft die fluktuierende, auf ein Bauwerk eintreffende Windströmung auf der Dachfläche im zeitlichen Verlauf hohe, aber sehr lokal wirkende Sog- oder Druckspitzen hervor. Die in den Normen angegebenen Druck- oder Sogbeiwerte sind dagegen über einen größeren Dachbereich integriert, d.h. gemittelt. Große lokale Sog- oder Druckspitzen gleichen sich mit kleineren Werten in der unmittelbaren Nachbarschaft aus. Damit kann zwar die Gesamtstandsicherheit des Daches bzw. des Gebäudes mit hinreichender Genauigkeit ermittelt werden, die Sicherheit lokaler Bauteile wird jedoch unterschätzt, da diese unmittelbar in einem lokalen Bereich hoher Druck- oder Sogbeiwerte liegen können. Zur Lagesicherheitsuntersuchung von Bauteilen mit kleinen Lasteinflussflächen in der Bauwerksoberfläche (z.B. Dachziegel) sind deshalb auf Teilbereiche bezogene Spitzensogbeiwerte zu berücksichtigen. Die Druckbeiwerte hängen von der Größe der bezogenen Fläche A ab. Sie werden deshalb im EC 1 für die entsprechende Gebäudeform für Flächen von 1 m² und v 10 m² als cpe,1 bzw. cpe,10 angegeben (Bild 13).
Bild 13: Außendruckbeiwerte für Satteldächer in Abhängigkeit vom Dachbereich, von der Größe der belasteten Fläche (c_pe,1 bzw. c_pe,10), von der Anströmrichtung Θ und vom Neigungswinkel α; (Eurocode 1, Tab. 10.2.4)
Die Druckverteilung ist darüber hinaus in starkem Maße abhängig von der Dachform und der Dachneigung. So führt z.B. ein Walmdach zu stark reduzierten Windlastspitzen im Bereich der Giebelspitze (vgl. EC 1, 10.2.6). Dieses ist ein Grund für die schon historischen Walmdächer in Norddeutschland. Die Dachneigung hat ebenfalls einen starken Einfluss, den man sich durch den Verdrängungseinfluss leicht klarmachen kann. Bei nicht zu starken Neigungen wirkt die dreiecksförmige Dachfläche wie ein Flugzeugflügel und erzeugt große Auftriebskräfte. Deshalb treten vor allem in den außenliegenden Bereichen von Flachdächern und wenig geneigten Dächern (< 20°) wesentlich höhere Sogspitzen auf als an den Kanten von Dächern mit größeren Neigungen. Die der Belastung durch Wirbelschleppen zugeschriebenen Schäden im Bereich des betrachteten Flughafens traten an Satteldächern mit “positiven” Dachneigungen zwischen 40° und 50° auf. Im EC 1, Abs. 2.4 sind unter anderem aerodynamische Beiwerte für eine solche Dachform angegeben. Diese sind in Bild 11 beispielhaft dargestellt. Der betragsmäßig größte aerodynamische Sogbeiwert für ein Satteldach mit “positiver“ Dachneigung ergibt sich zu cpe,1 = 2,2.
Im Gegensatz zur natürlichen Windströmung, die eine stark überwiegende ho-rizontale Komponente hat, können die tangentialen Windgeschwindigkeiten einer Wir-belwalze mit sehr unterschiedlichem Winkel auf ein Dach oder einen Dachrand treffen. Der Winkel hängt hierbei nur von der zufälligen Lage des Wirbels der Schleppe zum Dach ab (Bild 13).
Bild 13: Tangentiale Anströmung des Daches
Untersuchungen mit von der horizontalen Richtung abweichenden Anströmrichtung sind in [L1] durchgeführt worden. In [L1] wurden die Druckbeiwerte auf der Dachfläche eines quaderförmigen Versuchsmodells für unterschiedliche vertikale Anströmwinkel bestimmt. Hierzu wurde das Versuchsmodell im Windkanal um einen Winkel (“pitch“) gedreht und anschließend die Druckverteilung bestimmt. Hiernach führt bereits eine Änderung des vertikalen Anströmwinkels von nur 10° zu einer Zunahme des Sogbeiwertes um 50%, bezogen auf die horizontale Anströmung. Eine Vorhersage des Auftreffwinkels der maximalen tangentialen Windgeschwindigkeit einer Wirbelschleppe auf eine Dachfläche ist nicht möglich, da der Auftreffensort der Wirbelwalze zufällig ist, damit kann jeder Auftreffwinkel entstehen. Dieser Einfluss kann deshalb nur phänomenologisch betrachtet werden.
Kraftwirkungen auf die Ziegel werden durch die resultierende Druck- oder Sogbeanspruchung auf der Außen- und der Innenseite der Ziegel hervorgerufen. Gleicher Druck oder Sog innen und außen führt zu keiner resultierenden Kraftwirkung auf die Ziegel. Ein solcher Zustand kann sich aber nur dann einstellen, wenn der infolge der Böe oder Wirbelschleppe erhöhte Außendruck sich ohne nennenswerte Zeitverzögerung auch auf der Innenseite aufbauen kann. Dieses ist nur möglich, wenn a) ausreichend große Belüftungsquerschnitte, z.B. Spalten oder Fugen vorhanden sind, so dass keine nennenswerte Behinderung des Druckausgleiches stattfindet, b) der Innenraum möglichst klein ist, so dass sich der Druck rasch aufbauen kann.
Das Luftvolumen eines großen Innenraums, z.B. ein nicht ausgebautes Dachgeschoss muss zunächst durch den Außendruck der Böe komprimiert, d.h. „aufgepumpot“ werden, bis ein Druckausgleich stattfinden kann. Bei einem ausgebauten Dach ist wegen der zusätzlichen Versperrungen im Dachraum ein wesentlich kleineres Volumen zu komprimieren, so dass der Druckausgleich rascher erfolgt, als bei einem nicht ausgebauten Dach, d.h. die resultierende Kraftwirkung auf die Ziegel sinkt. Bei einem druckdicht verstrichenen Dach ergibt sich keine Möglichkeit eines Druckausgleiches, die Ziegel werden also mit dem vollen Druck beaufschlagt. Auf der anderen Seite wird die Rückhaltekraft durch einen Verstrich auf ein jedoch unbekanntes Maß erhöht, so dass ein Verstrich nicht in jedem Fall ungünstig sein muss. Wie groß der Tragfähigkeitsgewinn dadurch ist, ist allerdings derzeit nicht bekannt, so dass die Widerstandserhöhung zunöächst, auf sicherer Seite, vernachlässigt wird. Den in den Normen für Gebäudedächer angegebenen Druckbeiwerten liegen Messungen an Modellen mit druckdichter Oberfläche zugrunde. Da sich die Verhältnisse für druckdurchlässige Oberflächen zum Teil gravierend verändern, ist die Bestimmung der resultierenden Windbelastung allein mit Hilfe der Angaben entsprechend DIN 1055 T4 oder EC 1, Abs. 2.4 nicht sinnvoll. Hierzu sind die Ergebnisse ergänzender Untersuchungen zu beachten, die im folgenden kurz dargestellt werden. a) Windbelastung hinterlüfteter Fassadenelemente [P2] Fassadenverkleidungen werden häufig mit großformatigen Leichtbauplatten vorgenommen, die an einer Unterkonstruktion befestigt werden. Die Fassadenelemente werden i.a. mit planmäßigen Fugen verlegt. Durch Fugenöffnungen kann Luft die Fassade durchströmen. In einem Zwischenraum zwischen Fassade und Wärmedämmung kann sich ein örtlicher Luftstau hinter der Fassade verteilen. Die sogenannte Belüftung durch die Fugen als auch die Entlüftung durch den Zwischenraum beeinflussen die Größe des auf ein Fassadenelement wirkenden, resultierenden Staudrucks erheblich. Zu diesem Problemkreis wurden systematische Untersuchungen vom einem der Verfasser dieses Gutachtens durchgeführt [P2]. Die Ergebnisse können in Ihrer Tendenz auch auf die hier vorliegenden Verhältnisse angewandt werden. Der Staudruck (Geschwindigkeitsdruck) des natürlichen Windes lässt sich bei ei-ner be- und entlüfteten Fassade in zwei Anteile zerlegen. Ein Anteil ergibt sich aus der langsam veränderlichen mittleren Windgeschwindigkeit. Dieser bewirkt wegen des sich über die Fugen einstellenden Druckausgleichs keine resultierende Belastung der Fassadenelemente. Der zweite Anteil ergibt sich aus dem Staudruck infolge der zeitlich veränderlichen Böen; er stellt die eigentliche Belastung der Fassadenelemente dar. Trifft eine Windböe auf ein Fassadenelement, so wirkt bei einer winddichten Fassade der gesamte Staudruck als äußere Einwirkung auf das getroffene Element. Bei einer belüfteten Fassade stellt sich im Gegensatz zur geschlossenen Fassade über die Fugenöffnungen sofort ein Druckausgleich hinter dem Fassadenelement ein, so dass sich die Belastung des Fassadenelementes reduziert. Der Gegendruck wird um so größer, je größer die Fugenöffnungen sind, d.h. je größer die Belüftungsfläche ist.
Ist die Fassade auch noch entlüftet, d.h. kann sich der Druck hinter den Fassadenelementen ausgleichen, so wird ein Gegendruck nur aufgebaut, wenn die Luft schneller einströmt, als sie hinter dem Fassadenelement abströmen kann. Hierbei spielt das Verhältnis zwischen Be- und Entlüftungsfläche eine entscheidende Rolle. Die Belastungsreduktion einer be- und entlüfteten gegenüber einer winddichten Fassade lässt sich in Form eines experimentell ermittelten Abminderungsfaktors angeben (Bild 14), mit dem der Winddruck auf eine geschlossene Fassade multipliziert wer-den muss, um den effektiv auf die Elemente wirkenden Differenzdruck einer be- und entlüfteten Fassade zu erhalten. Die relative Belüftungsfläche ab ist die offene Fugenfläche im engsten Querschnitt, durch den die Luft hinter das Fassadenelement strömen kann, bezogen auf die Ansichtsfläche des Fassadenelements. Die relative Entlüftungsfläche ae ist die offene Fläche im Zwischenraum zwischen Fassade und Innenschale im engsten Querschnitt, durch den die Luft hinter dem Fassadenelement abströmen kann, bezogen auf die Ansichtsfläche des Fassadenelements. Ein Abminderungsfaktor f = 0,8 bedeutet beispielsweise, dass nur 80% der vollen Windlast auf die Fassade einwirken. Die resultierende Belastung wird also gering, wenn große Belüftungsflächen und kleine Entlüftungsfläche vorliegen.
Bild 14: Abminderungsfaktoren für die Windbelastung einer hinter-lüfteten Fassade nach [P2]
b) Windbelastung von Dachziegeln und Dachsteinen [S1, G2] Dacheindeckungen mit Dachziegeln/-steinen sind ebenso wie Fassadenelemente i.d.R. winddurchlässig. Bei ausgebauten Dachgeschossen ist zwischen Dacheindeckung und Unterspannbahn bzw. Unterdach ebenfalls ein Hohlraum vorhanden. Die strömungsmechanischen Verhältnisse einer be- und entlüfteten Fassade sind mit denen einer winddurchlässigen Dacheindeckung also durchaus vergleichbar. Der auf ein Gebäude wirkende Wind verursacht in Abhängigkeit von der Dachneigung und der Geometrie des Gebäudes sowie der Anströmrichtung einen Unter- bzw. Überdruck an der Dachaußenseite (Bild 15). Wegen der winddurchlässigen Dacheindeckung kommt es entsprechend der Lage auf dem Dach infolge des Druckunterschieds zwischen Dachinnen- und -außenseite zu einer Luftströmung von außen nach innen und umgekehrt (Bild 16).
Bild 15: Unter- und Überdruck an der Windseite eines geneigten Daches [S1].. | . BIld 16: Strömung durch die Ziegel als Folge der räumlichen Druckunterschiede [S1] |
. |
Der Luftinhalt des Hohlraums hinter den Dachziegeln, die Winddurchlässigkeit des Ziegeldachs und der Strömungswiderstand im Hohlraum bestimmen das dynamische Gleichgewicht, das sich zwischen Druck und Strömung einstellt. Der Druckunterschied zwischen Außen- und Hohlraumseite des Ziegeldachs führt in Abhängigkeit vom Druck im Dachhohlraum zu einer überwiegend gleichmäßig verteilten Belastung auf die Dachziegel. der Winddurchlässigkeit der Dacheindeckung und vom Dachaufbau (Unterdach, Unterspannung etc.) wird u.a. in [G2] beschrieben. Je größer die Winddurchlässigkeit der Dacheindeckung, desto kleiner ist die Beanspruchung der Dachziegel. Ein Abdichten der Dacheindeckung, z.B. durch eine Vermörtelung der Fugen zwischen den Dachziegeln, erhöht die Beanspruchung der Eindeckung. Dachziegel/-steine auf einer geneigten Dachfläche ohne Unterspannung oder Unterdach ergeben einen sehr guten Druckausgleich im Dachraum, die ”relative Entlüftungsfläche” ae ist verhältnismäßig groß. In guter Näherung kann hier der Dachraumdruck gleich dem Atmosphärendruck gesetzt werden. Der Abminderungsfaktor und damit die resultierende Belastung der Dachziegel ist gegenüber einer kleinen Entlüftungsfläche – einem Dachaufbau mit Unterdach – größer. Die Dachziegel werden zusätzlich durch eine strömungsbedingte Last beansprucht [S1]. Bild 17 zeigt schematisch das lokale Druckbild für einen einzelnen Dachstein infolge verschiedener Strömungsrichtungen. Diese lokalen Drücke sind stark abhängig von der Geometrie der Dachziegel bzw. Dachsteine.
Es bleibt festzuhalten, dass die Kraftwirkungen auf Ziegel bei ausgebauten Dachgeschossen kleiner sind als bei nicht ausgebauten Dachgeschossen, etwa gleiche Fugenspaltgrößen vorausgesetzt. Der Versuch, diese Einflüsse in normungsfähiger Qualität zu beschreiben, ist in der niederländischen Norm NEN 6702 unternommen worden. Sie gilt zur Ermittlung der erforderlichen Befestigung von Dachziegeln oder Dachsteinen. Es ist eine Tabelle von sog. Druckausgleichsbeiwerten zur Ermittlung einer auf die Ziegel wirkenden, gleichmäßig verteilten, resultierenden Windlast angegeben. Für die verschiedenen Dachzonen liegen die Druckausgleichswerte zwischen 0,33 und 0,5. Sie gelten auf der sicheren Seite liegend für die am wenigsten winddurchlässigen Betondachsteine. Die Werte sind zudem nur für die Bemessung von Dächern mit einer winddichten Innenverschalung anzuwenden.
Bild 17: Lokale Druckbelastung eines Ziegels infolge Wind quer (linkes Bild) und parallel zum First [S1]
Die auf die Dachziegel wirkende Windlast p folgt aus der Multiplikation des Staudrucks q entsprechend der anzusetzenden Windlastnorm mit den lokalen Druck- bzw. Sogbeiwerten cpe,loc für das windundurchlässige Dach und dem Druckausgleichsbeiwert ceq. Es ist p = c_eq · c_pe,loc · q. Wie erwähnt, spielen langsam veränderliche Winderscheinungen hierbei keine Rolle, da der Druckausgleich dabei immer in hinreichend kurzer Zeit stattfinden kann. Bei Wirbelschleppen ist ein solcher Druckausgleich nicht zu erwarten. Die Druckausgleichswerte dürften hier größer (ungünstiger) sein als 0,5. Als Grundlage für die Bemessung einer winddurchlässigen, durch Wirbelschleppen beanspruchten Dachziegel-Eindeckung wird daher bei Einbau einer geschlossenen Deckunterlage der Druckaus-gleichswert mit 0,70 abgeschätzt (vgl. Kap. 6.5). Das heißt, die für eine winddichte Außenschale ermittelten Windlasten werden in diesem Fall um 30% reduziert.
In der Regel werden Dachziegel und Dachsteine nicht mechanisch befestigt. Überschreiten die abhebenden Kräfte infolge des natürlichen Windes oder infolge Wirbelschleppen das Eigengewicht und die Reibung der Dachdeckung, sind Zusatzmaßnahmen zur Sicherung erforderlich. Die durch die Geometrie der Dachziegel vorhandene Verzahnung der Ziegel untereinander und der Ziegel mit der Unterkonstruktion wird hier auf sicherer Seite nicht berücksichtigt, da im Prinzip unbekannt. Für eine Bemessung müssen abgesicherte Werte zur Tragsicherheit der Befestigung vorliegen. Nach [D3] ist die Bemessungslast von Klammern sowie deren auf die jeweili-ge Dachziegel-/Dachsteinform bezogene Eignung vom Hersteller nachzuweisen (Prüfverfahren in Anlehnung an die niederländische Norm NEN 6708 ”Befestigung von Dachdeckungen”). Die Bemessungslast für Klammern zum Befestigen von Dachziegeln/-steinen sollte mindestens 0,15 kN/Stück betragen. Neueste Messungen zeigen, dass im Kernbereich von Wirbelschleppen erhebliche Unterdrücke auftreten (Kap. 4), im Falle eines Wirbelerzeugers der 20 t – Klasse bis zu 13 hPa (= 1300 N/m2). Für die hier betrachteten Flugzeugtypen ist insbesondere bei Gebäuden mit Firsthöhen >10 m zu erwarten, dass dieser Wirbelkern ein Dach trifft. Für ein solches Gebäude ist bei dem nachfolgend dargestellten Vorschlag zur Bemessung eines durch Wirbelschleppen beanspruchten Dachs, ein Druck von 1,30 kN/m² als Ersatz für den Staudruck entsprechend der Tangentialgeschwindigkeit einer Wirbelschleppe einzusetzen. Die anzusetzende Strömungsgeschwindigkeit ist in Abhängigkeit von der Flughöhe über First für die Flugzeugtypen B757-300 und B737-800 im ungünstigsten Fall (Turbulenzintensität der Atmosphäre gleich Null) Bild 18 zu entnehmen. Die auf eine Dachfläche wirkenden Lasten werden aus diesen Strömungsgeschwindigkeiten und den für die jeweilige Dachform und -neigung maßgebenden aerodynamischen Beiwert nach EC 1 für Bauteile mit kleinen Einflussflächen ermittelt (vgl. Bild 11). Für Dachüberstände sind die an der Unter- und Oberseite des Überstandes wirkenden Lasten zu addieren. Zur Erfassung der Bereiche von Dachdurchdringungen (Schornsteine, Dachgauben), für die höhere Windlasten zu erwarten sind, ist z.B. [D3] heranzuziehen.
Bild 18: Maximale Tangentialgeschwindigkeit der Wirbel in Bodennähe (B757-300 und B757-800) in Abhängigkeit der Überflughöhe
Für winddurchlässige Dachflächen, insbesondere für solche mit geschlossenen Deckunterlagen ergeben sich günstigere aerodynamische Beiwerte als z.B. nach DIN 1055 T4. Demzufolge wird vorgeschlagen, die für die Bemessung einer winddurchlässigen Eindeckung anzusetzende Windlast um 30% zu reduzieren, sofern eine geschlossene Deckunterlage über die gesamte Dachfläche ausgeführt wird. Durch eine Vermörtelung oder einen Innenverstrich der Dachziegel wird die Druckdichtigkeit reduziert, die Beanspruchung steigt, der Einbau einer geschlossenen Deckunterlage hat in diesem Fall keinen Einfluss auf die Größe der auf die Dacheindeckung wirkenden Windlast. Wie groß der stützende Einfluss der Vermörtelung ist, kann ohne Versuche nicht abgeschätzt werden, er muss daher unberücksichtigt bleiben. Üblicherweise wird bei der Bemessung von Dachdeckungen für Windlasten ein Si-cherheitsfaktor von γ = 1,5 angesetzt. Wegen des bei Wirbelschleppen weitgehend ungeklärten Einflusses des vertikalen Anströmwinkels wird empfohlen, die anzusetzenden aerodynamische Beiwerte mit einem Faktor von 1,5 zu multiplizieren: bei einer Änderung des tangentialen Anströmwinkels um 10° vergrößert sich der maximale Sogbeiwert um 50% , Kap 3. Dieser Faktor wird nachfolgend zur Vereinfachung dem Sicherheitsfaktor zugeschlagen. Die Unsicherheiten bei der Bestimmung der zu erwartenden Strömungsgeschwindigkeiten werden mit einem Faktor von 1,3 erfasst. Da ein Zusammenwirken der ungünstigsten Anteile sehr unwahrscheinlich ist, wird ein kumulativer Sicherheitsfaktor von 2,5 für eine Wirbelschleppen-Bemessung von Dachziegel-Eindeckungen empfohlen.
Der eigentliche relativ einfache tabellarische Bemessungs- oder Beurteilungsvorschlag wird hier nicht angegeben. Er bleibt Eigentum des Verfassers.
Die Sicherung der Dachabdichtungen von Flachdächern (üblicherweise Bitumenbahnen oder Ähnliches) gegen abhebende Kräfte kann durch Auflasten (z.B. Kiesschüttungen, Betonplatten oder Erdaufschüttungen), Verklebungen oder durch mechanische Befestigungen erfolgen. Die Bemessung eines Flachdachs hat üblicherweise gemäß [F2] mit den Windlasten nach DIN 1055 T4 und einem Sicherheitsfaktor von γ = 1,5 zu erfolgen. Bisher sind im Anflugbereich des Flughafens Dortmund und nach Kenntnis der Verfasser auch im Bereich anderer Flughäfen keine Schäden infolge Wirbelschleppen an Flachdächern aufgetreten. Bei anstehenden Dachsanierungen und Neubauten im Anflugbereich des Flughafens wird dennoch empfohlen, eine Flachdach-Bemessung analog dem oben beschriebenen Bemessungsbeispiel für Dachziegel-Eindeckungen durchzuführen. Hier wäre dann anstelle der erforderlichen Anzahl von Klammern, die erforderliche Auflast zu ermitteln.
[A1] Ackeret, J.: Anwendung der Aerodynamik im Bauwesen; Z. Flugwiss. 13 (1965), S. 109 –122.
[D1] DFS: Nachrichten für Luftfahrer NfL 175-183/97; Deutsche Flugsicherung, Juni 1997. [D2] Deutsches Dachdeckerhandwerk – Regelwerk bzw. Fachregeln des Dachdecker-handwerks, Hrsg.: Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks, Ver-lagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln-Braunsfeld, Stand: 9/1997.
[D3] Fachregeln für Dachdeckungen mit Dachziegeln und Dachsteinen; aufgestellt und herausgegeben vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks – Fachverband Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik e.V.; in [D2].
[F1] Franke, J.M.: Untersuchung zur Dynamik von Wirbelschleppen in der atmosphäri-schen Grenzschicht.
[F2] Richtlinien für die Planung und Ausführung von Dächern mit Abdichtung – Flach-dachrichtlinien; aufgestellt und herausgegeben vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks – Fachverband Dach-, Wand- und Abdichtungstech-nik e.V.; in [D2].
[F3] Fischenberg, D.: Bestimmung der Wirbelschleppencharakteristik aus Flugmessda-ten, DGLR-Jahrestagung 2002, Paper 2002-17, Stuttgart, 23.-26.09.2002
[G2] Gerhardt H.J., Janser, F., Kramer, C.: Windbeanspruchung belüfteter Außenwän-de; in [S2], S. 163 – 177.
[H1] Heintsch, T.: Beiträge zur Modellierung von Wirbelschleppen zur Untersuchung des Flugzeugverhaltens im Landeanflug; Dissertation an der TU Braunschweig 1994, ZLR-Forschungsbericht 94-07.
[H2] Houbolt, J.C: Atmospheric Turbulence; AIAA Journal, Vol. 11, No 4, April 1973, S. 421-437.
[K1] Koob, F.: Sturmsicherung, Fachzeitschrift des Deutschen Dachdeckerhandwerks; Mai 1986.
[L1] Letchford,C.W., Marwood,R.: On the influence of v an w component turbulence on roof pressures beneath conical vortices. Journal of Wind Engineering and Industri-al Aerodynamics 69, S. 567-577, 1997.
[M1] McCormik, B.: Persönliche Mitteilung.
[P1] Plate, E. (Hrsg.): Windprobleme in dichtbesiedelten Gebieten; WTG-Berichte Nr. 3. Aachen: Windtechnologische Gesellschaft (WTG) 1995.
[P2] Peil,U., Egner,R.: Zur Windbelastung hinterlüfteter Fassadenelemente. Bauinge-nieur 69, S. 109-115, 1994.
[P3] Pritchard,F.E.: Spectral and Probability Models of Atmospheric; Turbulence for Use in Aircraft Design and Operation; Airforce Flight Dynamic Laboratory, FFDL-TR-65-122, 1965.
[P4] Peil,U., Schänzer,G.: Analyse der Wirbelschleppenproblematik im Anflugbereich des Flughafens xxxxxx und Erörterung von Maßnahmen zu deren Entschärfung. Gutachten, Juli 1999. Auftraggeber: Ministerium für Umwelt und Ver-kehr Baden Württemberg, Stuttgart. (unveröffentlicht)
[S1] van Staalduinen: Sturmsicherheit von Dachziegeln und Dachsteinen auf geneigten Dächern – Prüfung eines Berechnungsverfahrens; in [P1], S. 147-157.
[S2] Sockel,H. (Hrsg.): Windkanalanwendungen für die Baupraxis; WTG-Berichte Nr. 4. Aachen: Windtechnologische Gesellschaft (WTG) 1997.
[S3] Schänzer,G.: Flug in gestörter Atmosphäre; Vorlesung am Institut für Flugführung der TU Braunschweig.
[S4] Schänzer,G.: Windmessungen während der Start-und Landephase eines Linien-flugzeuges zur statistischen Scherwindanalyse, Abschlussbericht des DFG-Forschungsvorhabens Scha 334/3-1, April 1985.
[S5] Schlichting,H.: Grenzschichttheorie, Verlag G. Braun, Karlsruhe 1982.
[T1] Tetzlaff,G.: Abschätzung der Veränderung des Schadenspotentials im Bereich des Flughafens Friedrichshafen durch die Flugzeugtypen B737-300, B737-400 mit den Typen B757 und A320.
[U1] Ulken,R.: Untersuchung der Wirbelschleppen landender Flugzeuge am Flughafen Frankfurt; DLR-Mitt. 88-15.
[W1] Weber,O., Ulken,R: Analyse des Einflusses von Wirbelschleppen auf Dachabdeckungen im Anflugbereich des Verkehrsflughafens Düsseldorf; DFVLR-Mitteilungen 82-01.
Eurocode 1: Grundlagen der Tragwerksplanung und Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 2-4: Einwirkungen auf Tragwerke – Windlasten, CEN, Brüssel, Mai 1995. DIN 1055 T4: Lastannahmen für Bauten – Verkehrslasten, Windlasten bei nicht schwin-gungsanfälligen Bauwerken, Beuth-Verlag, Berlin, 1986.
DIN 18 338: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) Dachdeckungs- und Dachabdichtungsarbeiten – DIN 18 338, Mai 1998.