Auswirkung falscher Materialien auf die Standsicherheit eines Bürogebäudes

1. Veranlassung

Die Eigentümer von drei großer Bürogebäude haben mich beauftragt, eine gutachtliche Stellungnahme zur Beurteilung des verbauten Materials der Stahlstützen der Hochbauten zu erstellen. Sie möchten damit Kenntnis darüber erhalten, ob der verbaute Stahl den damals gültigen und anerkannten Regeln der Technik entspricht. Die Bauwerke wurden in den Jahren 1997 bis 1999 erstellt.
Zudem möchte man Kenntnis darüber erhalten, ob die Materialqualität des vorgefundenen Stahls Auswirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit, Standsicherheit und Erdbebensicherheit der Bauwerke hat. Für die Bauwerke gilt die Bauwerksklasse BWK II gemäss SIA Norm 160 und müssen die dort empfohlenen konstruktiven Hinweise erfüllen.

2. Vorgehensweise

2.1 Übersicht

Wegen fehlenden Materialzeugnissen und zeichnerischer Darstellungen der Konstruktion der Hochbauten werden aufwendige Untersuchungen vorgenommen, um die Fragestellungen beantworten zu können. Hierzu werden aufeinander aufbauende Untersuchungen vorgeschlagen, die im Bild 1 dargestellt sind. Die Vorgehensweise wurde in der Angebotsphase mit den Auftraggebern abgestimmt, ohne Kenntnis der Örtlichkeit bzw. Einzelheiten der Gebäudekonstruktion.


Bild 1: Übersicht über die Vorgehensweise

  • Zunächst werden bei 49 Stützen der drei zu untersuchenden Hochbauten Späne entnommen. Anhand der Späne ist es möglich mit Hilfe einer nasschemischen Untersuchung die Zusammensetzung des Stahls zu bestimmen. Zudem werden vor Ort an einigen blankgeschliffenen Stellen Rückprallhärtemessungen durchgeführt, die eine Abschätzung der Zugfestigkeit des vorliegenden Werkstoffs ermöglichen.
  • Auf Basis der Untersuchungsergebnisse aus (1) ist eine Bestimmung des Kohlenstoffäquivalents CEV gemäss [1] und [3] und eine erste Aussage zur Schweissbarkeit des Werkstoffs möglich. Zudem können einzelne Chargen der Rohre bzw. des Vollmaterials identifiziert werden, die identische Eigenschaften (3) aufweisen. Die Wanddickenmessungen der Rohre erfolgen durch Ultraschallmessungen.
  • Auf Basis der in (3) identifizierten Chargen sollen je Charge mindestens 5 Kleinstproben (Bild 2) an jeweils verschiedenen Stützen derselben Charge minimalinvasiv entnommen werden. Aus diesen Kleinstproben mit einem Bohrkern von z.B. 57 mm Durchmesser d werden Miniaturzugproben sowie Kerbschlagbiegeproben erstellt. Die Entnahmestellen werden hierbei so gewählt, dass keine Reduktion der Tragsicherheit des Bauteils bzw. des Gebäudes eintritt.

    BIld 2: Beispiel für Nutzung eines Bohrkernes

Die Miniaturproben werden in einer speziellen Prüfmaschine (Bild 3) eingebaut und die entsprechenden Werkstoffkennwerte bzw. Arbeitslinien bestimmt.

Bild 3: Versuchsstand für Miniatur-Zugproben

  • Anhand der Versuchsergebnisse aus (4) kann die Qualität des Baustahls in mechanischer Hinsicht bestimmt (Ermittlung von Streckgrenze, Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Kerbschlagarbeit) und mit den Anforderungen der damalig gültigen Schweizer Norm [3] und der Euronorm [1] verglichen werden.
  • Zur Überprüfung der Angaben aus (3), oder – falls keine Angaben möglich sind – zur Ermittlung der Fertigungsgüte sollen je Stützenrohrdicke minimalinvasiv Proben aus Schweissnahtbereichen entnommen werden, um den Härteverlauf sowie die Güte der Schweissnaht beurteilen zu können. Da es sich hier um invasive Massnahmen handelt, die zu einer (geringen) Tragfähigkeitsreduktion führen, soll die Probenentnahme in diesem Fall nur aus einzelnen gering beanspruchten Stützen in überdimensionierten Bereichen erfolgen, so dass auch hier die Standsicherheit des Bauwerks nicht beeinträchtigt wird.
  • Entspricht die Stahlqualität hinsichtlich der Schweissbarkeit und der mechanischen Kennwerte den Anforderungen und entspricht die Verarbeitung in der Werkstatt dem Stande der Technik, ist die untersuchte Charge der Stützen standsicher, vorbehaltlich einer zutreffenden statischen und dynamischen Berechnung im Rahmen der Ausführungsplanung.
  • Entspricht der Werkstoff in Bezug auf seine chemische Zusammensetzung nicht den Anforderungen an die Schweissbarkeit, d.h. besteht die Gefahr von Rissen, entsprechen die Festigkeitskennwerte jedoch den Anforderungen, kann eine Sanierung durch das Anbringen von z.B. Kragenkonsolen erfolgen. Hierzu ist jedoch ein Nachweis der Stand- und Erdbebensicherheit für die neue Konstruktionsart zu erbringen. Entsprechen die Stützen den Anforderungen an die Schweissbarkeit und ist die Fertigung ordnungsgemäss erfolgt, so kann das Problem auftreten, dass die geforderte normative Mindeststreckgrenze des Stahls nicht erreicht wird. In diesem Fall könnten wiederum Sanierungsmassnahmen erforderlich werden, sofern detaillierte statische und dynamische Berechnungen unter Berücksichtigung von reduzierten Festigkeitswerten keine ausreichende Standsicherheit ergeben. Im ungünstigsten Fall sind die Stützen nicht schweissbar und die Streckgrenze entspricht nicht den normativen Anforderungen. Dann ist ein vollständiger Sanierungsplan, evtl. unter Schliessung der Kontaktstösse in den Geschossen erforderlich.

Alle oben beschriebenen Untersuchungen werden in Übereinstimmungen der Europäischen Normen durchgeführt und ausgewertet.

2.2 Nasschemische Untersuchungen

Es wurden an 49 Stützen der Bauwerke jeweils ca. 5 Gramm Stahlspäne entnommen, Bild 4. Vor Entnahme wird der Korrosionsschutz bzw. der Feuerschutzanstrich entfernt und die Entnahmestelle metallisch blank geschliffen. An die Stützen sind biegesteife Riegel mit I-förmigen Querschnitt angeschweisst. Die Untergurte der angeschweissten Riegel betragen laut Ultraschallmessung t = 25 mm und in den Randfeldern t = 15 mm. Je Gebäude sind ca. 288 Stahlstützen verbaut worden. Ab dem 1. bis zum 5. Obergeschoss sind die über die Stahlbetondecken biegesteif durchlaufenden Stützen gelenkig gestossen.

Bild 4: Spanentnahme, durch Anbohren

Ergebnisse und Bewertung der nasschemischen Untersuchungen Die Ergebnisse der nasschemischen Untersuchungen können, wie folgt, zusammengefasst werden:
Das nasschemisch ermittelte Kohlenstoffäquivalentwert CEV vorh. in der Tabelle 2 (2. Spalte von rechts) wurde gemäss SIA 161/1 [3] Ziffer 5 22 7 bestimmt. Für detaillierte Angaben verweist die SIA auf die Anwendung der europäischen Norm EN 10 025 [1]. Zur Bewertung der geschmiedeten Vollstahlstützen (d=350mm) wurde bis 1990 für den europäischen Raum die DIN 17100 [6] herangezogen. Sie wurde jedoch bauaufsichtlich Ende 1990 zurückgezogen. Wegen der fehlenden Normung von Gütevorschriften für Schmiedestücke in der Schweiz und im europäischen Raum wird in einigen Fällen nach der DIN 17100 weiterhin Material bestellt. Sowohl die DIN 17100 als auch die SIA 161/1 und die EN 10 025 erfassen nur Materialdicken bis 250 mm, so dass die verbauten Vollstahlstützen mit einem Durchmesser von d = 350 mm normativ nicht geregelt sind. Für diesen Fall sind bei der Materialbestellung die Güte- und Grenzwerte vertraglich zu vereinbaren. Auch die Schweizer Norm [3] weist unter Ziffer 5-21-3 darauf hin, dass Festigkeiten und übrige mechanische Eigenschaften in jedem Einzelfall spezifiziert werden müssen. Zudem macht die Norm unter Ziffer 5-22-7 darauf aufmerksam, dass mit steigender Werkstoffdicke und steigender Festigkeit die Gefahr von Kaltrissen in der wärmebeeinflussten Zone mit hohen Eigenspannungen zunimmt.
Die Wahl geeigneter Massnahmen bei den Schweissarbeiten (vgl. SIA 161 [2], Ziffer 6 31 3) ist in solchen Fällen ebenso wichtig wie die Werkstoffwahl! Bei falscher Wahl von Schweissparametern bzw. nur bedingt schweissbaren Stählen kann die Tragsicherheit von Schweissnähten deutlich reduziert sein. Bei Auftreten von Kaltrissen infolge des Schweissens ist die Tragfähigkeit deutlich reduziert. Die rechnerischen Annahmen in den statischen Berechnungen würden somit nicht mehr zutreffend sein.
Es ist dem Eigentümer nicht bekannt, ob spezielle Güte- und Grenzwerte für den Fall grösserer Erzeugnisdicken als 250 mm vertraglich vereinbart waren. In der Praxis üblich werden bei Erzeugnisdicken grösser als 250 mm die Grenzwerte für eine Dicke von 250 mm zugrunde gelegt. Bei der weiteren Begutachtung wird deshalb als Nachweisgrenze für die Vollstahlstützen von einem maximalen CEV-Wert 0,49 nach [1] ausgegangen.
Die Nachweisgrenze der durchgeführten nasschemischen Analysemethode (ICO-OES) liegt im ppm-Bereich (parts per million: Teilchen der Substanz pro eine Million Teilchen des Mediums). Der Vertrauensbereich ist abhängig von den untersuchten chemischen Elementen in Grössenordnung von 10 bis ca. 15 ppm.
Die Analyseergebnisse zeigen, dass alle entnommenen Späne hohe Aluminium- und Silizium-Gehalte aufweisen. Demnach können alle Stahlqualitäten einer beruhigten bis besonders beruhigten Vergiessungsart zugeordnet werden. Zudem zeigen die Gehalte der chemischen Elemente Silizium Si, Mangan Mn, Schwefel S, Phosphor P, Aluminium Al und Kupfer Cu, dass sowohl die Vollstahlstützen als auch die Rohrprofilstützen aus einem unlegierten Baustahl bestehen.
Im Folgenden werden die Ergebnisse dargestellt:
Tabelle 1: Ergebnisse der nasschemischen Untersuchung


Das Kohlenstoffäquivalentwert CEV in Tabelle 2 gibt die kombinierte Wirkung der Legierungselemente und des Kohlenstoffs an. Der Wert stellt einen Massstab für die rissbegünstigende Wirkung im Vergleich (=Äquivalente) zu Kohlenstoff dar. Das nasschemisch ermittelte Kohlenstoffäquivalentwert CEV vorh. in der Tabelle 2 (2. Spalte von rechts) wurde gemäss SIA 161/1 [3] Ziffer 5 22 7 bestimmt. Für detaillierte Angaben verweist die SIA auf die Anwendung der europäischen Norm EN 10 025 [1].
Zur Bewertung der geschmiedeten Vollstahlstützen (d=350mm) wurde bis 1990 für den europäischen Raum die DIN 17100 [6] herangezogen. Jedoch wurde sie bauaufsichtlich Ende 1990 zurückgezogen. Wegen der fehlenden Normung von Gütevorschriften für Schmiedestücke in der Schweiz und im europäischen Raum wird in einigen Fällen nach der DIN 17100 weiterhin Material bestellt.
Sowohl die DIN 17100 als auch die SIA 161/1 und die EN 10 025 erfassen nur Materialdicken bis 250 mm, so dass die verbauten Vollstahlstützen mit einem Durchmesser von d = 350 mm normativ nicht geregelt sind. Für diesen Fall sind bei der Materialbestellung die Güte- und Grenzwerte vertraglich zu vereinbaren. Auch die Schweizer Norm [3] weist unter Ziffer 5 21 3 darauf hin, dass Festigkeiten und übrige mechanische Eigenschaften in jedem Einzelfall spezifiziert werden müssen. Zudem macht die Norm unter Ziffer 5 22 7 darauf aufmerksam, dass mit steigender Werkstoffdicke und steigender Festigkeit die Gefahr von Kaltrissen in der wärmebeeinflussten Zone mit hohen Eigenspannungen zunimmt. Die Wahl geeigneter Massnahmen bei den Schweissarbeiten (vgl. SIA 161 [2], Ziffer 6 31 3) ist in solchen Fällen ebenso wichtig wie die Werkstoffwahl. Bei falscher Wahl von Schweissparametern bzw. nur bedingt schweissbaren Stählen kann die Tragsicherheit von Schweissnähten deutlich reduziert sein. Bei Auftreten von Kaltrissen infolge des Schweissens ist die Tragfähigkeit deutlich reduziert. Die rechnerischen Annahmen in den statischen Berechnungen würden somit nicht mehr zutreffend sein.
Dem Eigentümer ist nicht bekannt, ob spezielle Güte- und Grenzwerte für den Fall grösserer Erzeugnisdicken als 250 mm vertraglich vereinbart waren. In der Praxis üblich werden bei Erzeugnisdicken grösser als 250 mm die Grenzwerte für eine Dicke von 250 mm zugrunde gelegt. Bei der weiteren Begutachtung wird deshalb als Nachweisgrenze für die Vollstahlstützen von einem maximalen CEV-Wert 0,49 nach [1] ausgegangen.
Die Nachweisgrenze der durchgeführten nasschemischen Analysemethode (ICO-OES) liegt im ppm-Bereich (parts per million: Teilchen der Substanz pro eine Million Teilchen des Mediums). Der Vertrauensbereich ist abhängig von den untersuchten chemischen Elementen in Grössenordnung von 10 bis ca. 15 ppm.

Die Analyseergebnisse zeigen, dass alle entnommenen Späne hohe Aluminium- und Silizium- Gehalte aufweisen. Demnach können alle Stahlqualitäten einer beruhigten bis besonders beruhigten Vergiessungsart zugeordnet werden. Zudem zeigen die Gehalte der chemischen Elemente Silizium Si, Mangan Mn, Schwefel S, Phosphor P, Aluminium Al und Kupfer Cu, dass sowohl die Vollstahlstützen als auch die Rohrprofilstützen aus einem unlegierten Baustahl bestehen. Die Analyseergebnisse zeigen eine starke Streuung der Gewichtsanteile der einzelnen Elemente. So schwankt der Kohlenstoffgehalt z.B. von 0,140 Gew.% bis 0,257 Gew.%.

Insgesamt liegen die Gewichtsanteile der einzelnen Elemente bis auf wenige Ausnahmen innerhalb des zulässigen Toleranzbereiches für die chemische Zusammensetzung eines Baustahls Fe E 355 C bzw. D nach den SIA Normen bzw. [1] und [6]. Die Kohlenstoffgehalte der Proben SP07 und SP46 liegen über dem Grenzwert für Erzeugnis- Nenndicken > 40 mm von 0,24. Beide Spanproben stammen aus Vollstahlstützen und bedürfen ebenfalls einer zusätzlichen vertraglichen Vereinbarung ab einer Nenndicke > 100 mm.
Die zulässigen Manganwerte sind alle eingehalten. Der Silizium-Gehalt der Probe SP36 mit 0,666 Gew.% liegt geringfügig über dem zulässigen Wert von 0,6. Alle anderen chemischen Gehalte liegen innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen für unlegierte Baustähle. Wegen der starken Streuung der Mangan- und der Kohlenstoff-Gehalte ist zu erwarten, dass die Festigkeitswerte (Streckgrenze, Zugfestigkeit) und die Kerbschlagarbeitswerte ebenfalls deutlich streuen werden.
Die Spanproben SP05, SP06, SP16, SP19 und SP31 bis SP35 weisen kleinere Aluminiumgehalte auf als 0,02% und können somit Stickstoff nicht abbinden. Stickstoff führt zur Bildung harter Nitrite mit starker Verspödungsgefahr (Sprödbruch) und Alterungsneigung. Bei stark versprödeten Werkstoffen kann unter dynamischen Beanspruchungen, wie sie bei einem Erdbeben auftreten, der Werkstoff aufreissen und spröde versagen. Bei 13 der 49 (entsprechend 26%) untersuchten Proben sind die Höchstgrenzen des Kohlenstoffäquivalentwertes überschritten, also den anerkannten Regeln der Technik nach unzulässig, und die Gefahr von Kaltrissen gegeben:

  • Gebäude Nr. 1: 3 Vollstahlstützen, 2 Rohrprofilstützen t = 40 mm,
  • Gebäude Nr. 2: 4 Vollstahlstützen,
  • Gebäude Nr. 3: 1 Vollstahlstütze, 3 Rohrprofilstützen t = 40 mm.

Die CEV-Werte der 8 identifizierten Vollstahlstützen (in Tabelle 2 gelb markiert) liegen im Bereich von 0,50 bis 0,52, bis auf die Stütze der Probennummer SP07. Diese weist einen CEVWert von 0,58 auf. All diese ermittelten CEV-Werte erfüllen bei Annahme des Grenzwertes für Erzeugnisdicken von 250 mm nicht den angegebenen Grenzwert von 0,49 nach [1] bzw. nach SIA 161/1, Ziffer 5 22 7. Die DIN 17100 macht hierzu keine Angaben.
Die 5 in der Tabelle 2 rot markierten Rohrprofilstützen mit Wanddicken von 40 mm zeigen ebenfalls unzulässige CEV-Werte. Alle anderen untersuchten Spanproben von Rohrprofilstützen liegen innerhalb des Bereiches der zulässigen Grenzwerte.
Um abzuschätzen, ob die starke Streuung der einzelnen Elemente auf die Spanentnahme in Verbindung mit starken Gefügeseigerungen zurückzuführen ist oder ob sie chargenbedingt sind, wurden an einer Probe Vergleichsuntersuchungen mit der Spektralanalyse am Querschliff einer Kernbohrung durchgeführt. Auf die Entnahme von Kernbohrungen und deren Untersuchungen wird im Kapitel 5 eingegangen. Im Nachfolgenden sind die Ergebnisse der chemischen Analyse und der Spektralanalyse, gemittelt aus drei Analysebereichen, dokumentiert. Die Angaben für die Elementgehalte sind wiederum in Gew.% angegeben:

Tabelle 4: Vergleich nasschemischer und Spektralanalyse

Ein Vergleich der Messergebnisse zeigt, mit Ausnahme von Mangan, nur Abweichungen in der Bandbreite des Vertrauensbereiches, obwohl hier zwei unterschiedliche Analyseverfahren verglichen werden. Da Mangan hier z. T. in der Form von spröden Mangansulfiden vorliegt, die bei einer Spanentnahme in der Matrix verbleiben können, ist diese Abweichung erklärlich. Auf Grund dieser guten Übereinstimmung ist davon auszugehen, dass es sich bei den Streuungen der nasschemischen Analyse um einen Chargeneinfluss handelt. Eine Chargenabhängigkeit des Rohr- oder auch des Vollmaterials ist bei den vorliegenden Streuungen nicht identifizierbar. Wie viele Stützen aus unterschiedlichen Chargen verbaut wurden, lässt sich also hieraus nicht ableiten.
Im Anhang A sind die Ergebnisse der von Hand durchgeführten Härtemessungen nach Vickers aufgeführt. Es wurden je Stütze 10 Einzelmessungen aufgezeichnet und mit der Student-t-Verteilung statistisch ausgewertet. Es ist zu erkennen, dass die Härtemessungen ebenfalls grosse Streuungen aufweisen. Dies ist durch die stark streuenden chemischen Zusammensetzungen des Materials erklärbar. Wegen der nicht möglichen Zuordnung fertigungsgleicher Stützen mit gleichem Kohlenstoffäquivalent und Härte (vgl. Kapitel 3: Geplante Vorgehensweise) wird an dieser Stelle das Vorgehen auch im Hinblick auf statistische Aussagen geändert. Die willkürlichen Streuungen deuten auf ein stark inhomogenes Gefüge hin. Zur Überprüfung werden metallographische Gefügeuntersuchungen vorgenommen und parallel dazu die mechanischen Kennwerte bestimmt. Mit den Gefügeuntersuchungen können mögliche Seigerungszonen und Einschlüsse von Schlackenzeilen identifiziert werden und somit wichtige Aussagen zur Schweissbarkeit getroffen werden. Die Ermittlung der mechanisch-technologischen Kennwerte (Streckgrenze, Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Kerbschlagarbeit) sind grundlegende Eingangswerte für die statische Berechnung und damit für die Standsicherheit des Gebäudekomplexes.

2.3 Untersuchungen zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften

2.3.1 Kernprobenentnahme

Wegen der fehlenden Chargenzuordnung wurden an allen Stützen mit sehr hohen Kohlenstoffäquivalentwerten (CEV ≥ 0,41) Kernproben entnommen (Tabelle 4). Die Entnahmestellen sind gleichmässig über die drei Gebäude verteilt. Alle Probenentnahmen wurden nahe der Gelenkausbildung in Übereinstimmung mit den Spanentnahmestellen durchgeführt. a. Anzahl und Art der Bohrungen:

16 Vollstahlstützen
20 Rohrprofilstützen: 8 x Wanddicke t = 40 mm,
4 x Wanddicke t = 28/29 mm
4 x Wanddicke t = 25 mm
4 x Wanddicke t = 20 mm

Es wurden je Vollstahlstütze minimalinvasiv zwei Kernbohrungen mit einem Aussendurchmesser d = 23 mm ca. 40 mm tief orthogonal zur Stützenlängsachse – d.h. radial -. gebohrt (Bild 5). Während der Entnahme wurde der Kernbohrer ständig mit Bohrflüssigkeit gekühlt. Es war vorgesehen, die verbleibenden Kerne mit flüssigem Stickstoff auf ca. -60°C bis -80°C herunterzukühlen und den so stark versprödeten Kern dann mit Keil und Hammerschlag heraus zu brechen.
Es zeigte sich aber sehr überraschend bei der Probenentnahme, dass eine Stickstoffkühlung nicht notwendig war. Die 15 mm dicken Stahlkerne konnten mittels einfacher Hebelwirkung mit dem Schraubendreher spröde herausgebrochen werden (Bild 6). Ein solches extrem sprödes Verhalten ist mir in meiner bisherigen Praxis noch nicht vorgekommen.

Bild 5: Kernbohrung radial Bild 6: Herausbrechen des Zapfens

Zusätzlich wurden an 7 gleichen Vollstahlstützen Keilproben entnommen (Bild 7 und 8). Bei den ausbetonierten runden Rohrprofilstützen wurde je Stütze eine Kernbohrung mit einem Aussendurchmesser von d = 65 mm durchgeführt. Die in Kapitel 2 geplante Vorgehensweise wurde wegen der bereits erwähnten fehlenden Möglichkeit einer zuverlässigen Chargenzuordnung für die Vollstahl- und Rohrprofilstützen geändert.
Um eine statistische Auswertung je Vollstahlstütze zu ermöglichen, wären Entnahmen von mindestens 10 Bohrkernen für die Probenherstellung von 5 Zugstäben und 5 Kerbschlagbiegeproben nötig gewesen. Für die Rohrprofilstützen wären mindestens 5 Kernbohrungen mit einem Durchmesser von d = 65 mm (verbleibender Querschnitt d = 57 mm) je Stütze erforderlich. Nach Absprache mit dem Auftraggebern wurde von dieser Variante abgesehen und die oben beschriebene minimalinvasive Probenentnahme durchgeführt. Die Entnahmelöcher wurden anschliessend mit einem Innengewinde versehen und anschliessend mit einem Gewindestopfen verschlossen.

Tabelle 5: Kernprobenentnahmeorte:

2.3.2 Ausarbeitung der Proben und Versuchsdurchführung

a. Probengeometrie Die Bohrkerne der Rohrprofilstützen wurden je nach vorliegender Dicke (t = 20 bis 40 mm) im Labor in zwei bzw. drei Stahlscheiben (Disks) zersägt. Bild 8 zeigt eine exemplarische Zerlegung einer entnommenen Rohrscheibe:

Bild 8: Zerlegung der Disk.

Die Bohrkerne der Vollstahlstützen wurden wegen ihrer kleinen Abmessungen jeweils vollständig für eine Zug- bzw. Kerbschlagbiegeprobe verwendet. Wegen der kurzen Bohrkernlänge wurden alle Kerbschlagbiegeproben durch Anschweissungen verlängert. Der Energieeintrag wurde beim Schweissprozess so niedrig gehalten, dass der Wärmeeintrag keinen Einfluss auf das Gefüge im Prüfbereich hat und somit normenkonform ausgeführt wurde.
Dies wurde durch Längsschliffe durch den zerstörten Kerbstab anhand metallurgischer Untersuchungen belegt. Bild 9 zeigt exemplarisch einen Längsschliff durch einen Kerbstab der Probe SP34. Aus den entnommenen Kernproben der Rohrprofil- und Vollstahlstützen wurden 36 Rundzugproben nach EN 10 002 ausgearbeitet (Bild 10).

Bild 9: Längsschliff Kerbstab Bild 10: Miniatur-Zugprobe
Bruchlage: rechter schwarzer Rand des Bildes
.

Dabei wurden bei den Proben aus den Vollstahlstützen wegen der kurzen Bohrkernlänge Endgewinde aufgedreht. Zusätzlich wurden 6 weitere Zugproben ausgearbeitet, um eine eventuelle Festigkeitsänderung über die Materialdicke bestimmen zu können.
Die Abmessungen der Kerbschlagbiegeproben betragen gemäss EN 10 045 je ca. 55 mm Länge, die Höhe und Breite je ca. 10 auf 10 mm versehen mit einer 2 mm tiefen V-Kerbe.

2.3.3 c. Versuchsdurchführung

Die Zugversuche wurden gemäss EN 10002-Teil 1 mit einer 100 kN Universalprüfmaschine der Güteklasse 1 (Fabrikat Schenck) durchgeführt. (Bild 11, 12). Die Prüfgeschwindigkeit betrug bei allen Versuchen 0,2 mm / min. zur Bestimmung der σ_0,2-Grenze bzw. 2 mm / min. zur Bestimmung der Zugfestigkeit.

Bild 11: Zugprobe mit Einschnürbereich Bild 12: Gerissene Zugprobe
.

Die Kerbschlagbiegeversuche wurden nach EN 10 045 Teil 1 „Kerbschlag nach Charpy“ mit einem Wolpert Pendelschlagwerk Typ PW 30/15k unter Verwendung des 15k Armes bei – 20°C und 0°C Prüftemperatur durchgeführt (Bild 13). Das verwendete Kerbschlagwerk ist in die Klasse 1 nach EN 51 220 eingestuft, dies bedeutet eine maximale Abweichung von 0,5 % des Maximalwertes. Demnach kann von einer maximalen Abweichung von 0,75 Joule ausgegangen werden. Eine zerstörte Kerbschlagbiegeprobe ist in Bild 14 dargestellt.

Bild 13: Pendelschlagwerk Typ PW 30/15k Bild 14: Zerstörte Kerbschlagbiegeprobe
2.3.4 Mechanische Versuchsergebnisse

a. Zugversuche Folgende mechanische Materialkennwerte wurden anhand der Zugversuche ermittelt:

  • Streckgrenze R_p0,2 bzw. R_eH (obere Grenze) in N/mm^2, auch Fliessgrenze genannt
  • Zugfestigkeit Rm in N/m^^2
  • Bruchdehnung As in %

und sind in Tabelle 5 zusammengefasst. Sofern keine ausgeprägte Streckgrenze R_eH vorlag, wurde in Übereinstimmung der EN 10 025 die technische Streckgrenze R_p0,2 bei 0,2 % Dehnung ermittelt. Die SIA Normen [2] und [3] machen hierzu keine genauen Angaben. Die Streckgrenze eines Materials bestimmt seine maximale Beanspruchbarkeit und ist somit einer der wesentlichen Parameter für die Standsicherheit eines Bauwerkes.

Tabelle 6: Ergebnisse der Zugversuche

Es wurden Streckgrenzen zwischen 254 bis 516 N/mm² im Versuch ermittelt. Die gelb markierten Werte zeigen Streckgrenzwerte unter dem in den Normen festgelegten Mindeststreckgrenzwert von 275 N/mm². Allerdings handelt es sich hierbei um Proben aus Vollstahlstützen (d=350 mm), die gemäss SIA 161/1 und auch nach EN 10025 – wie bei den chemischen Einzelwerten – einer speziellen vertragliche Vereinbarung bedürfen.
Die Probe SP30 wurde einer ausbetonierten Rohrprofilstütze mit einer Wanddicke von t = 20 mm entnommen. Sie hat eine Streckgrenze von 318,2 N/mm² (rot markiert) und unterschreitet die nach den Normen [1] und [3] geforderte Mindeststreckgrenze von 345 N/mm² deutlich.
Die Werte der Zugfestigkeiten 472 bis 623 N/mm² und die Bruchdehnungen 19,5 bis 41 % sind nach Euronorm [1] und SIA-Norm [3] eingehalten.

b. Kerbschlagbiegeversuche
Die im Versuch bestimmte Kerbschlagarbeit ist ein Mass für die notwendige Duktilität des Werkstoffes, die – wegen der vorliegenden Erdbebengefährdung – zwingend erforderlich ist. Die Mindestkerbschlagarbeiten nach SIA 161/1 und EN 10 025 sind für Materialdicken ≤ 150 mm 27 Joule und für Materialdicken ab 150 mm bis 250 mm 23 Joule bei einer Prüftemperatur von -20°C und 0°C für die Gütegruppe D nach [3] bzw. J2 nach [1].
Nach EN 10 025 sind aus 3 Kerbschlagwerten der Mittelwert zu bestimmen und das oben angegebene Arbeitsvermögen einzuhalten. Hierbei darf ein Einzelwert unter dem festgelegten Mindestwert liegen, er muss jedoch mindestens 70% dieses Wertes betragen. Im vorliegenden Fall liegen wegen der minimalinvasiven Probenentnahme je Stütze nur ein Kerbschlagarbeitswert vor, d.h. Erzeugnisdicken d ≤ 150 mm müssen 18,9 Joule und Erzeugnisdicken d > 150 mm bis 250 mm müssen 16,1 Joule erreichen.
Alle in der Tabelle 6 rot markierten Kerbschlagarbeitswerte erfüllen die Grenzwerte nach [1] und [3] nicht. Die gelb markierten Werte erfüllen nicht die Mindestkerbschlagarbeitswerte für Erzeugnisdicken d ≤ 250 mm (vgl. Kapitel 4.2 und 5.3.1).

c. Bewertung der versuchstechnisch ermittelten mechanischen Kennwerte Bei 5 von 36 untersuchten Stützen (entsprechend 14%) wurden Streckgrenzen unter dem normativ geforderten Mindeststreckgrenzwert von 275 N/mm² festgestellt. Da die Streckgrenze ein wesentlicher Parameter der statischen und dynamischen Berechnungen ist, muss dringend überprüft werden, ob die angenommene Streckgrenze in den Berechnungen mit den hier ermittelten Streckgrenzwerten übereinstimmt. Sollten die ermittelten Streckgrenzwerte unter dem angesetzten Wert in den statischen und dynamischen Berechnungen liegen, ist unverzüglich eine statische und dynamische Analyse anzufertigen, die belegt, dass die Hochbauten standsicher sind.
Alle anderen Streckgrenzen, Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen liegen im normativen Gültigkeitsbereich und streuen darüber hinaus extrem stark. Eine Zuordnung nach Chargen ist nicht möglich. Ein Auszug aus der Gesamttabelle der im Versuch ermittelten Kerbschlagwerte nach Charpy getrennt in Quer- und Längswalzrichtung ist in Tabelle 7 angegeben. angegeben. Die dort dokumentierten Kerbschlagarbeitswerte zeigen ein deutlich schlechteres Ergebnis als die Ergebnisse der Zugversuche.

Tabelle 6: Ergebnisse der Kerbschlagbiege proben (Auszug)

Bei allen 8 entnommenen Materialproben aus Rohrprofilstützen mit einer Wanddicke von t = 40 mm sind die normativ geforderten Mindestkerbschlagarbeitswerte deutlich unterschritten (rot markiert). Einige Kerbschlagwerte sind um das 4,2-fache kleiner als der normative Mindestwert, auf den Mittelwert bezogen sogar um das 6-fache. Da alle Kerbschlagwerte der Stichprobe für die Rohrprofilstützen mit einer Wanddicke von t = 40 mm die normativen Grenzwerte bei einer Prüftemperatur von -20°C und 0°C deutlich unterschreiten, wird gutachtlich davon ausgegangen, dass alle Rohrprofilstützen mit einer Wanddicke von t = 40 mm unzulässige Kerbschlagarbeitswerte aufweisen.
Bei Betrachtung der Ergebnisse der Probe SP11/1 bis 3 bei den Prüftemperaturen -20°C, +20°C und +40°C, zeigt sich, dass sogar bei allen Temperaturen die Normwerte nach [1] und [3] deutlich unterschritten werden. D.h. die Tieflage des Materials befindet sich über Raumtemperatur. Vollstahlstützen: Wegen der Forderung einer minimalinvasiven Probenentnahme wurden zunächst bei den Vollstahlstützen die Kerbschlagwerte senkrecht zur Walzlängsrichtung bestimmt und nicht wie in [1] beschrieben parallel zur Hauptwalzrichtung. Kerbschlagwerte aus der Querrichtung sind bei normgerechten normalisiertem Zustand des Baustahls niedriger (bis zu 40%) als Kerbschlagwerte aus Walzlängsrichtung.
Die im Versuch ermittelten Kerbschlagwerte aus Querrichtung (in Tabelle 6 gelb markiert) zeigen bei 8 von 16 entnommenen Bohrkernproben aus Vollstahlstützen (entsprechend 50%) um bis zu 1,6-fach kleinere Werte als unter den für die Stahlgüte geforderten Einzel-Kerbschlagarbeitswerten und auf den Mittelwert bezogen um bis zu 2,3-fach kleinere Werte. Dies bestätigt das sehr spröde Verhalten des Stahls, das bereits bei der Probenentnahme mit einem Schraubendreher überdeutlich wurde. Bei 7 der 8 identifizierten Vollstahlstützen (in Tabelle 6 gelb markiert) wurden zu einer genaueren Untersuchung zusätzlich die Kerbschlagwerte aus der Walzlängsrichtung bestimmt. Alle ermittelten Werte erfüllen die normativen Grenzwerte. Jedoch streuen die Kerbschlagwerte aus Walzlängsrichtung im Verhältnis zur Walzquerrichtung unverhältnismässig stark. Die Streuungen sind durch die metallographischen Untersuchungsergebnisse im folgenden Kapitel 6 zu erklären. Ein Einbau von Stützen mit unzureichenden mechanisch-technologischen Eigenschaften ist nicht zulässig. Die erforderliche Duktilität in Hauptbeanspruchungsrichtung unter Erdbebenbeanspruchung, also in Walzquerrichtung der Stützen, kann u. U. nicht mehr ausreichend sein.

**2.3.5 Metallographische Untersuchungen

Darstellung der Materialgefüge Die Bilder der metallographischen Schliffe zur Beurteilung der makroskopischen und mikroskopischen Gefügeausbildungen in unterschiedlichen geometrischen Lagen in Bezug auf die Achse der Kernbohrungen sind in Anhang C nach folgender Reihenfolge sortiert:

  • Vollstahlstützen (aus Kerbstab): Bild C-1 bis Bild C-76
  • Rohrprofilstützen t = 40 mm: Bild C-77 bis Bild C-190
  • Rohrprofilstützen t = 28/29 mm: Bild C-191 bis C-220
  • Rohrprofilstützen t = 25 mm: Bild C-221 bis C-247
  • Rohrprofilstützen t = 20 mm: Bild C-248 bis C-272
  • Vollstahlstützen (aus Zugstab): Bild C-273 bis C-287

Die metallographischen Auffälligkeiten sind unter die jeweiligen Bilder eingetragen. Zur Übersichtlichkeit sind die metallographischen Untersuchungsergebnisse in Anhang D schlagwortartig in Bezug auf die dokumentierten Bilder nochmals zusammengefasst. In diesen Übersichten ist darüber hinaus die im Labor durchgeführte Härteprüfung HV5 nach Vickers dokumentiert. Aufgrund der grossen Streuung wurde jeweils ein Mittelwert aus 10 Einzelmessungen bestimmt. Die Schliffe wurden standardgemäss geschliffen, poliert und im ungeätzten bzw. geätzten Zustand dokumentiert:

Präparation:

  • Schleifen: 120-1200er Körnung SiC
  • Polieren: 3 μm Diamantpaste, Tonerde 1
  • Feinpolieren: Op-S Suspension
  • Ätzung: 2%-ige alkoholische HNO3

Für die folgende Wiedergabe gilt:

  • Proben aus Vollstahlstützen liegen senkrecht zum Kerb bzw. parallel zur Zugrichtung.
  • Proben aus Rohrprofilstützen wurden in ihrer Kennzeichnung in Richtung „Nord“ ausgerichtet

Das Gefüge der Kerbschlagproben ist deutlich inhomogen mit schwankenden Korngrössen. Abhängig von der Lage der Probe zeigt sich makroskopisch eine Gussstruktur oder eine zeilige Anordnung in „Walzrichtung“ (Bild 20). Die mechanisch-technologischen Eigenschaften können hierdurch negativ beeinflusst werden. Die nachfolgenden Gefügebeurteilungen beziehen sich nur auf das nicht wärmebeeinflusste Grundwerkstoffgefüge der Vollstahlstützen:

Bild 15: Gussstruktur Bild 16: Gewalztes Material
  • Bei den Proben, die makroskopisch ein zeiliges Gefüge zeigen, liegt Ferrit und Perlit sehr vereinzelt in kleinen Widmannstättenstrukturen vor. In einigen Bereichen sind geringe Anteile an Zwischenstufe zu erkennen.
  • Die Proben, die eine Gussstruktur aufweisen, zeigen ein ferritisch-perlitisches Gefüge. Der Perlit liegt in vielen Proben in einer „Würmchenform“ vor, typisch für ein Gussgefüge (Bild 17,18).
Bild 17: Ferrit / Perlit Bild 18: Perlit-Würmchen und Zwischenstufe

Rohrprofilstützen Die nachfolgenden Gefügebeurteilungen treffen auf alle Untersuchungsergebnisse im Wesentlichen zu:

  • Die Schliffe in Walzrichtung der Kernbohrung zeigen ein stark inhomogenes Gefüge. Neben fein geseigerten Zonen liegen auch Bereiche mit grober Seigerung vor (Bild 19, 20)
Bild 19: fein geseigert Bild 20: grob geseigert

Das Gefüge der Materialproben der Zugstäbe entspricht überwiegend dem der Kerbschlagproben. Die Bruchfläche einer untersuchten Zugprobe zeigt einen Spaltbruch mit geringen duktilen Bruchanteilen und deutlich angehäuften Mangansulfidzeilen in Korrelation zu den Gefügebildern der Kerbschlagproben.

Feststellungen

A) In Abhängigkeit der Probenlage ist das Gefüge sehr inhomogen mit stark schwankender Korngrösse und Karbidausbildung an den Korngrenzen (Bild 21, 22).

Bild 21: InhomogeneKorngröße Bild 22: Karbidwachstum auf den Korngrenzen

B) Aufgrund einer inhomogenen Kohlenstoffverteilung im Werkstoff liegen in den Seigerungszonen Gefügeausbildungen des gesamten untereutektoiden Kohlenstoffdiagramms (C < 0,8%) vor. Das Gefüge zeigt eine lokal stark ausgeprägte Widmannstättenstruktur (Bild 24). Das nadelige Kristallgitter ist an diesen Stellen verspannt, womit eine ausgeprägte Härtesteigerung verbunden ist. Bei einem Widmannstättengefüge kann auch von einem Härtungsgefüge gesprochen werden, welches mit einem Abfall der Duktilität einhergeht.

Bild 23: inhomogene Kohlenstoffverteilung Bild 24: Widmannstättengefüge

C) In der UCI-Härteverteilung (Vickershärte, nicht genormt) spiegelt sich die inhomogene Gefügeausbildung mit Härtespitzen bis 250 HV1 wieder (Bild 25).


Bild 25. Härteverteilungsbild der Materialprobe SP 37

Beurteilung der metallographischen Untersuchungen Bei allen untersuchten Proben zeigen sich vergleichbare metallographische Gefügeausbildungen, die aus gutachtlicher Sicht auf eine ungenügende Wärmeführung während der Herstellung zurückzuführen sind.
Der Anlieferungszustand eines S355 J2 G3 N ist bei einwandfreier Qualität normalisiert und zeigt in Walzrichtung ein zeiliges ferritisch-perlitisches Gefüge. Bei dem vorliegenden Rohrmaterial sind allerdings extreme Abweichungen vom normalisierten Gefüge vorhanden. Insbesondere die Widmannstättenstruktur, die Anhäufung kohlenstoffreicher Gefügebereiche und die vereinzelte Ausbildung von Eisenkarbiden (Zementit) auf den Korngrenzen wirken sich ungünstig auf die mechanisch-technologischen Eigenschaften des Werkstoffs aus.
Bereits jeder einzelne Einfluss hat eine ungünstige Auswirkung auf die mechanischen und technologischen Eigenschaften. In der Zusammenwirkung verstärken sich die ungünstigen Wirkungen. Dies zeigt sich insbesondere bei dynamischer Erdbebenbeanspruchung, da die Duktilitätsnachfrage vom Werkstoff nicht mehr befriedigt werden kann. Das Gefüge des Vollmaterials zeigt ebenfalls kein normalisiertes Gefüge, wie es normativ gefordert wird. Die Auswirkung der Gussstruktur auf die mechanisch-technologischen Eigenschaften ist deshalb ebenso negativ zu beurteilen. Dies belegen die Ergebnisse der Zug- und besonders der Kerbschlagversuche. Bei 4 von 16 Vollstahlstützen wurden Streckgrenzen unter 275 N/mm², bei 8 von 16 Vollstahlstützen den Normen [1] und [3] entsprechend zu niedrige Kerbschlagarbeiten gefunden. Die geringen Kerbschlagarbeiten in „Walzquerrichtung“ lassen sich durch die metallographisch gefundenen Seigerungen, inhomogenen Korngrössen und Elementverteilungen infolge der Gussstruktur eindeutig erklären. Es ist zu prüfen, ob unter Erdbebenbeanspruchung die vorhandene Duktilität in Querrichtung (Hauptbeanspruchungsrichtung) ausreichend ist. Dies wird mehr als deutlich, durch die extreme Erfahrung, dass einzelne Proben mit einem Schraubendreher mittels Hebelwirkung einfach herausgebrochen werden konnten! Die nasschemischen Untersuchungsergebnisse und die ermittelten mechanischen Kennwerte spiegeln in ihrem Streubereich die inhomogene Gefügeausbildung wieder.

2.4 Untersuchungen der Schweissnähte

A. Probenentnahme aus den Schweissnahtbereichen Zur Beurteilung der Qualität der Schweissnähte und der Schweissbarkeit des verbauten Materials wurden aus den unteren Schweissnahtanschlussbereichen Riegel an Stütze Materialproben entnommen. Dabei wurden an 13 Vollstahlstützen, 7 Rohrprofilstützen (t = 40 mm) und 1 Rohrprofilstütze (t = 28/29 mm) je zwei Kernbohrungen durchgeführt. Dabei wurden Stützen ausgewählt, die besonders inhomogene Gefügeausbildungen, CEV-Werte ≥ 0,42 und niedrige Kerbschlagarbeitswerte aufweisen.
Da keine Unterlagen über die Schweissnahtausbildung an Riegel und Stütze vorlagen, wurde in zwei Bereichen der Stahlbetondecke der Beton entfernt. Bild 26 zeigt exemplarisch die Deckenöffnung im Bereich des Schweissnahtanschlusses (doppelseitige Kehlnaht) der I-förmigen Riegel an die Stütze. Dabei mussten einige Bewehrungsstäbe aufgetrennt werden, um den Beton entfernen zu können. Sie wurden nach Abschluss der Arbeiten wieder durch angeschweisste Bewehrungsstäbe gleichen Querschnitts fachgerecht ersetzt.

Bild 26: Anschlusskonstruktion I-Profil an Stütze – Steg endet 100mm vor der Stütze

Bei der Öffnung des Deckenbereiches zeigte sich, dass die Stege der I-förmigen Riegel – entgegen üblichen Ausbildungen – nicht an die Stützen angeschweisst wurden (Bild 34). Die Stege enden ca. 100 mm vor der Stütze. Der Obergurt und der Untergurt des Riegels sind über massive Doppelkehlnähte angeschlossen (ca. a = 13mm). Diese Ausbildung entspricht nicht dem erwarteten Konstruktionsdetail. Wegen des nicht angeschlossenen Steges (mögliche Schweissnahtfläche ca. 36 cm²) müssen die Querkräfte vermutlich über Betondruckstreben zwischen den Flanschen und damit voraussichtlich hoher resultierenden Schweissnahtbeanspruchungen in die Stütze eingeleitet werden. Planmässig werden die Doppelkehlnahtanschlüsse der Flansche zusätzlich durch die Stockwerksrahmenwirkung auf Zug- und Druckkräfte beansprucht. Wegen der nicht möglichen zerstörungsfreien Prüfbarkeit der Kehlnähte dürfen diese ohnehin nicht voll ausgenutzt werden.
Es wurden in dem unteren Schweissnahtanschlussbereich Untergurt-Stütze Kernbohrungen mit einem Durchmesser von 23 bzw. 27 mm im Winkel von ca. 30° zur Horizontalen ausgeführt (Bild 27). Die Entnahmestellen wurden anschliessend wieder durch einen Gewindestopfen verschlossen. Das Gewinde des Stabes wurde gekörnt, um ein selbsttätiges Herausdrehen zu verhindern.

Bild 27: Entnahmebereich zwischen unterem Flansch und Stütze

Aufgrund der schrägen Probenentnahme zur Schweissnahtflanke ist eine direkte Beurteilung der Schweissnahtausbildung nur schwer möglich, so dass im Folgenden eine lokale Gefügebeurteilung vorgenommen wird. Im Anhang F sind 300 Gefüge- und UCI-Flächenhärtebilder der 42 entnommenen Kernproben ausführlich dokumentiert. Jedes Bild wird durch eine bildunterseitige stichwortartige Erklärung erläutert. Wegen der Vielzahl der Bilder werden im Folgenden zwei exemplarisch ausgewählte metallographische Untersuchungen dargestellt. Sie geben im Wesentlichen einen Durchschnitt der metallographischen Untersuchungsergebnisse wieder: Probennr. K SP19/1:

  • Auffällig ist eine extrem grobe Dendritenausbildung im Schweissgut, Anhang Bild F-134. Der verzweigte Aufbau von Dendriten entsteht, wenn ein Kristall frei wachsen kann, weil er z.B. noch allseitig von Schmelze umgeben ist.
  • In der Wärmeeinflusszone der Probe K SP19/1 liegt neben Zwischenstufe auch lokal Martensit mit Härtewerten bis 400 HV1 vor. Ein Martensitgefüge ist ein feinnadeliges, sehr hartes und sprödes Gefüge. Es entsteht beim Abschrecken von Austenit mit derart hohen Abkühlgeschwindigkeiten, dass dem Kohlenstoff keine Zeit zur Diffusion aus dem Gitter bleibt. Die Anhäufung von Martensitnadeln weist auf eine ungenügende Wärmeführung beim Schweissprozess hin. Das spiegelt sich auch in den Härtewerten der UCIHärteverteilung wieder (Bild 28). Bild 28: Härteverteilung in der Probe K SP19/1

• In der Wärmeeinflusszone der Probe K SP38/1 befindet sich ein Anriss im Schweissgut. Im Rissbereich befinden sich Anhäufungen von Schlacken und der Riss ist grösstenteils mit Schlacke gefüllt. Es liegt nicht nur ein Hauptriss vor, sondern auch eine Vielzahl von Verzweigungen.
Aufgrund der vorliegenden Rissausbildung ist auszuschliessen, dass sich der Riss erst bei der Probenentnahme durch den Einfluss der Unterkühlung mit flüssigem Stickstoff bzw. durch das Heraushebeln der Kernbohrung gebildet hat. Eine Untersuchung der Rissoberfläche im Rasterelektronenmikroskop ist präparativ nur mit hohem Aufwand und unter Zerstörung der Schliffprobe möglich. Da zurzeit nicht feststeht, ob das Material im Rahmen weiterer Untersuchungen benötigt wird, wurde auf eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung verzichtet.

  • Ausserdem sind in der Wärmeeinflusszone Poren und grobe Bindefehler, d.h. keine metallische Verbindung vorhanden, Anhang Bild F-276 und Bild F-277. Schweissnahtbindefehler entstehen durch falsche Wärmeführung beim Schweissen. • Das UCI-Härteverteilungsbild der Schweissprobe K SP38/1 zeigt keine lokalen Härtespitzen durch Martensitanteile (Bild 38). Der Riss ist ein Bindefehler und nicht infolge einer Aufhärtung entstanden. Dies zeigen auch die Anhäufungen von Schlacke an den Rissufefern und im Riss selbst.

3 Zusammenfassung

Zur Beurteilung der Materialeigenschaften von Baustahlstützen und von Schweissverbindungen in den Hochbauten der Peter-Merian-Strasse Nr. 82, 84 und 86 wurden Span- und Bohrkernentnahmen vorgenommen. An den entnommenen Spänen wurden nasschemische Untersuchungen und an den Bohrkernen Untersuchungen zur Bestimmung der mechanischtechnologischen Eigenschaften und metallographische Gefüge- und Röntgenuntersuchungen durchgeführt.

a. Mechanisch und technologische Materialeigenschaften Die wesentlichen Ergebnisse der nasschemischen Analysen und der Versuche zur Bestimmung der mechanisch-technologischen Eigenschaften des vorgefunden Baustahls sind in der folgenden Tabelle 10 zusammengefasst dargestellt. Die rot markierten Werte sind unzulässige Werte gemäss den Normen EN 10 025 [1] und SIA 161/1 [3].
In den Normen sind Angaben für die mechanischen Kennwerte nur bis zu einer Erzeugnisdicke ≤ 250 mm angegeben. Bei darüber hinausgehenden Dicken sind die Grenzwerte bei der Materialbestellung vertraglich zu vereinbaren. In der Praxis werden deshalb in der Regel bei grösseren Dicken die Grenzwerte für 250 mm angesetzt. Es sei in diesem Zusammenhang vermerkt, dass auch die Norm SIA 161/1 unter Ziffer 5 21 3 darauf hinweist, dass Festigkeiten und übrige mechanische Eigenschaften in jedem Einzelfall spezifiziert werden müssen.
Beim vorliegenden Bauwerk sind die Grenzdicken bei den kreisrunden Vollstahlstützen mit einem Durchmesser d = 350 mm überschritten. In Tabelle 8 sind die Vollstahlstützen, bei denen die angegebenen Mindestgrenzwerte nach SIA 161/1 und EN 10 025 unterschritten werden, gelb markiert. Unabhängig hiervon wurden bei 5 von 36 untersuchten Stützen (entsprechend 14%) Streckgrenzen unter dem in den Normen festgelegten Mindeststreckgrenzwert von 275 N/mm² angetroffen.
Die Streckgrenze eines Werkstoffes bestimmt seine maximale Beanspruchbarkeit und ist damit der wesentliche Parameter für die Standsicherheit eines Bauwerkes. Bei 8 von 16 entnommenen Bohrkernproben aus den Vollstahlstützen (entsprechend 50%) aus Walzquerrichtung wurden Kerbschlagarbeiten um bis zu 1,6-fach kleinere Werte als unter den für die Stahlgüte geforderten Einzel-Kerbschlagarbeitswerten und auf den Mittelwert bezogen um bis zu 2,3-fach kleinere Werte ermittelt. Dies bestätigt das spröde Verhalten des Stahls, das bereits bei der Probenentnahme mit einem Schraubendreher überdeutlich wurde. An 7 dieser 8 identifizierten Vollstahlstützen wurden an Kerbstabproben aus Walzlängsrichtung Kerbschlagarbeiten ermittelt, die alle die normativen Grenzwerte erfüllen. Dies ist ungewöhnlich, da bei normgerechten normalisiertem Zustand des Baustahls die Kerbschlagwerte aus der Querrichtung nur um bis zu 40% niedriger sind als Kerbschlagwerte aus Walzlängsrichtung. Die Begründung der grossen Abweichungen liegt in der vorgefundenen Gussstruktur des Gefüges der Vollstahlstützen.
Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Querrichtung der Stützenachse auch die Hauptbeanspruchungsrichtung bei einer Erdbebenbeanspruchung ist. Es muss unbedingt geprüft werden, ob die vorhandene Duktilität in Querrichtung ausreicht.
Alle untersuchten Proben aus Rohrprofilstützen mit einer Wanddicke von t = 40 mm haben nach [1] und [3] keine ausreichende Kerbschlagarbeitswerte für die Gütegruppen J0 und J2. Die Kerbschlagarbeiten sind ein Mass für die notwendige Duktilität des Werkstoffes, die – wegen der hier vorliegenden Erdbebengefährdung – zwingend erforderlich ist.

b) Gefügezustand Bei den Untersuchungen fiel auf, dass alle ermittelten Werte (chemische Einzelwerte, Kohlenstoffäquivalente, Streckgrenzen, Zugfestigkeiten und Kerbschlagzähigkeiten) sehr stark streuen, so dass eine Chargenabhängigkeit nicht festgestellt werden kann. Anhand der Ergebnisse der metallographischen Gefügeuntersuchungen lassen sich die grossen Streuungen erklären. Die Gefügebilder zeigen, dass teilweise extreme Abweichungen vom üblichen und normenmässig vorausgesetzten, normalisierten Gefüge vorhanden sind.
Viele der entnommenen Proben aus den Rohrprofilstützen zeigen das Vorhandensein eines sog. Widmannstättengefüges (nadeliges, sprödes Gefüge), die Anhäufung kohlenstoffreicher Gefügebereiche und die vereinzelte Ausbildung von Eisenkarbiden (Zementit) auf den Korngrenzen. Bereits jeder einzelne Einfluss wirkt sich ungünstig auf die mechanischen und technologischen Eigenschaften des Werkstoffs aus. In der Zusammenwirkung verstärken sich die ungünstigen Wirkungen. Dies zeigt sich insbesondere bei dynamischer Erdbebenbeanspruchung, da die Duktilitätsnachfrage vom Werkstoff nicht mehr befriedigt werden kann.
Das Gefüge des Vollmaterials zeigt ebenfalls kein normalisiertes Gefüge wie es nach EN 10025 gefordert wird. Die Auswirkung der vorgefundenen Gussstruktur auf die mechanischtechnologischen Eigenschaften ist deshalb ebenso negativ zu beurteilen wie vorher beschrieben. Deutlich wird dies durch die unzureichenden Kerbschlagarbeiten in Walzquerrichtung. Dies wird auch anschaulich mehr als deutlich durch die extreme Erfahrung, dass einzelne Proben mit einem Schraubendreher mittels Hebelwirkung einfach herausgebrochen werden konnten!

c) Eigenschaften der Schweissnahtbereiche Die metallographischen Untersuchungen der Bohrkerne aus den Schweissnahtbereichen des Doppelkehlnahtanschlusses des Untergurtes der Riegel an die Stütze zeigen u. a. starke Martensit- Anhäufungen mit Härten von > 370 bis 500 HV1. Martensit ist ein sehr sprödes Gefüge, dass bei schneller Abkühlung entsteht (abschrecken). Derartig schnelle Abkühlung tritt auf bei ungenügender Vorwärmung der zu verschweissenden Teile und bei ungenügender Wärmeführung beim Schweissen. Aufhärtungen von > 370 HV1 können wie mikrostrukturelle Kerben wirken.
Bei 12 von 42 Schweissnahtproben (entsprechend 29 %) wurden unzulässige Risse, Bindefehler, Poren und Schlackeneinschlüsse festgestellt, die eindeutig auf eine mangelhafte schweisstechnische Ausführung schliessen lassen. Es muss mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass nicht nur die zufällig untersuchten Nähte derartige Fehler aufweisen, sondern viele weitere Anschlüsse ebenso. Hierdurch wird die Tragfähigkeit bei statischer und vor allem auch dynamischer Erdbebenbeanspruchung deutlich reduziert.
Es sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die Norm SIA 161/1 unter Ziffer 5 22 7 darauf aufmerksam macht, dass mit steigender Werkstoffdicke und steigender Festigkeit die Gefahr von Kaltrissen in der wärmebeeinflussten Zone mit hohen Eigenspannungen zunimmt. Die Wahl geeigneter Massnahmen bei den Schweissarbeiten (z.B. Vorwärmen) ist in solchen Fällen ebenso wichtig wie die Verwendung eines geeigneten Werkstoffes. Hierbei sei nochmals der Kohlenstoffäquivalentwert CEV erwähnt, welcher die kombinierte Wirkung der Legierungselemente und des Kohlenstoffs angibt. Der Wert stellt einen Massstab für die rissbegünstigende Wirkung im Vergleich (=Äquivalente) zu Kohlenstoff dar. Bei 13 der 49 (entsprechend 26%) der Proben der nasschemisch bestimmten CEV-Werte wurden die normativen Grenzwerte nach SIA 161/1 und EN 10 025 (vgl. Kapitel 4.2) überschritten. Bei derartig schwierigen schweisstechnischen Arbeiten muss stets eine Arbeitsanweisung für die Schweisser erarbeitet werden, aus der die genaue Vorgehensweise bei der Herstellung der Naht hervorgeht (Schweissanweisung), um Schweissnahtfehler (z.B. Kaltrisse infolge unzulässig hoher CEV-Werte) zu vermeiden.

d) Knotenpunktsausbildung Die in der statischen Berechnung vorausgesetzten Materialeigenschaften nach Norm werden in der Realität vom Material nicht erfüllt. Damit ist derzeit keine Aussage über ausreichende Tragsicherheit des Bauwerkes, insbesondere auch im Erdbebenfall, möglich. Eine unverzügliche statische und dynamische Untersuchung des Bauwerkes in Bezug auf die Tragsicherheit unter Berücksichtigung der vorgefundenen Materialeigenschaften erscheint zwingend geboten. Dies ist insbesondere deshalb notwendig, weil die Aussteifung der gesamten Hochbauten ausschliesslich durch Stockwerksrahmenwirkung erfolgt. Hierbei sind die in Rede stehenden biegesteifen Riegel-Stützenanschlüsse von entscheidender Bedeutung für die Tragfähigkeit.
Hinzuzufügen ist, dass beim Öffnen dieser Anschlüsse festgestellt wurde, dass die Stege der Deckenriegelprofile nicht an der Stütze angeschlossen sind, sie enden ca. 100 mm vor der Stütze. Die Querkräfte in den Riegeln werden vermutlich über Betondruckstreben zwischen den Flanschen und damit hoher resultierenden Schweissnahtbeanspruchungen in die Stütze eingeleitet. Planmässig werden dabei die Doppelkehlnahtanschlüsse der Flansche zusätzlich durch die Stockwerksrahmenwirkung auf Zug- und Druckkräfte beansprucht.

Facit:
Unter Berücksichtigung der zum Teil erheblich von den Normen abweichenden Ergebnisse der Materialuntersuchungen, der metallographischen Gefüge- und Röntgenuntersuchungen und damit auch von den Voraussetzungen der statischen und dynamischen Berechnungen kann derzeit keine sichere Aussage über eine ausreichende Standsicherheit des Bauwerkes getroffen werden.
Eine unverzügliche Untersuchung durch nicht am Bau Beteiligte ist dringend anzuraten. Die Standsicherheit der Hochbauten ist unter Würdigung der Untersuchungsergebnisse aus gutachtlicher Sicht zweifelhaft.

zum Anfang zurück